Text Ulrich Kläsener ––– Fotografie
Was wäre die Lösung für die Überbrückung von 10.000 Kilometern im Wartungsfall? Bei Maschinen und Anlagen oder bei IT-Containern in den Tiefen einer Mine? High-techendgeräte wie clevere Datenbrillen zum Beispiel. Sie liefern dem Instandhalter vor Ort Kenndaten direkt ins Haus oder schalten bei Problemen Experten des Produzenten zu. Per Fernwartung ließen sich auch Software-Updates aufspielen, Wartungsprozesse beauftragen und vor allem eine vorausschauende Instandhaltung betreiben.
„Der größte Fortschritt wird durch eine direkte Rückkopplungsschleife erzielt – vom Instandhalter beim Kunden in die Konstruktionsabteilung beim Maschinenbauer“, erläutert Dr. Karl-Ulrich Köhler, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Rittal. „Damit weiß der Hersteller um das spezifische Optimierungspotenzial – zum Beispiel einer bestimmten Komponente – und kann die Reifung des Produkts im Kundensinne vorantreiben.“ Selbst Daten zu Störfällen in der Produktanwendung ließen sich also verwerten, indem sie direkt zu Modifikationen im originären Engineering führen. Für die effiziente neue Welt braucht es Daten – durchgängig, konsistent, immer und überall verfügbar.
Treibstoff und Schmiermittel
„Die Digitalisierung ist unbestritten das Paradigma unserer Zeit“, so Köhler. „Schon heute existieren gut vernetzte Einheiten, stark optimierte Abteilungen und vereinzelt Smart Factories.“ Auffällig ist aber, dass das Bewusstsein beim vielleicht wichtigsten Punkt nur vage ausgeprägt ist: durchgängig digitalisierte Geschäftsprozesse. Nur mit ihnen lassen sich intelligente Wertschöpfungsketten gestalten, die Unternehmen wettbewerbsfähig halten.
Treibstoff und Schmiermittel dieses Leitmotivs sind Daten – in der fertigenden Industrie ist es der digitale Zwilling. Er begleitet das reale Produkt als ein virtueller Prototyp bestenfalls ein Leben lang: von der Entwicklung über die Konstruktion bis hin zum Recycling und der Wiedervorlage bei neuen Entwürfen. Hier greift das Motto des „Simplify your life“. Denn am Ende wird alles, was sich digitalisieren lässt, sich auch automatisieren und standardisieren lassen.
Warum die Perspektive auf den Gesamtprozess so hohe Potenziale vorhält, skizziert der Blick zurück. Wurden Geschäftsprozesse optimiert, konzentrierten sich die Maßnahmen meist auf einzelne Teilstücke. Das Inselschema setzte sich auf IT-Ebene fort. In den 80er- und 90er-Jahren bestückten Unternehmen einzelne Abteilungen mit Spezialistensoftware, häufig Stand-alone-Lösungen. Das brachte punktuell Effizienzgewinne, führte aber zu Medienbrüchen. Die Verarbeitung von Informationen über Abteilungs- und Aufgabengrenzen hinweg war mit der wiederholten Eingabe von gleichen Daten verbunden. Doppelte Arbeit und eine Vielzahl vermeidbarer Fehler waren die Folge. „Das Potenzial der Digitalisierung zeigt sich heute besonders bei der Betrachtung von Prozessen in international agierenden Unternehmen: Konstruktion, Fertigung und Montage erfolgen an unterschiedlichen Standorten, je nach Kompetenz und Aufgabe“, berichtet Köhler. Doch die Herausforderung bleibt: Jede Disziplin ist darauf angewiesen, immer und überall auf den einen, aktuellen Informationsstand zugreifen zu können.
Die Nahtstellen der Spezialistensysteme sind der Ausgangspunkt, um aus heterogenen, statischen Landschaften eine durchgängige, dynamische Wertschöpfungskette aufzubauen. Der digitale Zwilling steht dabei am Anfang des Produktlebenszyklus und ist zugleich sein wesentlicher Bestandteil. Zudem braucht es modulare IT-Systeme, deren Leistungsfähigkeit mitwächst. Ein hochwertiges Produktdatenmanagement, das reale Workflows antreibt und unterstützt, nutzt keine Schnittstellen mehr. Integrierte Prozesse ermöglichen die „Single Source of Truth“, also physikalisch identische Informationen.
Die Voraussetzungen für die digitale Transformation der Geschäftsprozesse sind geschaffen. Anbieter zeigen sich mit schlanken Modellen für Software as a Service und hochsicheren Cloud-Angeboten. So können Unternehmen bedarfs- und szenariogerecht auf Standard-IT zurückgreifen, die sich im Bausteinprinzip den individuellen Gegebenheiten der jeweiligen Kunden anpassen.
Erfahrungswissen als Grundlage der Digitalisierung
„Das breite Erfahrungswissen hierzulande ist nicht nur eine Steilvorlage für Digitalisierungsvorhaben, sondern wird seit Jahren durch beständige Innovation vorangetrieben“, berichtet Köhler. Zugegebenermaßen verbinden sich mit Schlagworten wie Industrie 4.0 zunächst übertriebene Hoffnungen, die in einer zweiten Phase einer übermäßig kritischen Betrachtung ausgesetzt sind. Hat sich die Aufregung gelegt, werden erste Projekte umgesetzt. So wie im mittelhessischen Haiger. Hier, im 1.200 Quadratmeter großen Rittal Innovation Center, wird anhand des Steuerungs- und Schaltanlagenbaus vorexerziert, was die Verschmelzung digitaler und physischer Workflows leisten kann. Was mit intelligenten Engineering-Werkzeugen entwickelt, gestaltet und konstruiert wurde, geht nahtlos in die automatisierte Fertigung über. So lassen sich neue Methoden vom Configure to Order bis hin zum Engineer to Order nicht nur andenken, sondern auch umsetzen.