Text Dr. Jörg Lantzsch ––– Fotografie
Schaltschränke ohne gedruckten Schaltplan verdrahten? Das konnte sich bei der
Schaltanlagenbau GmbH H. Westermannn jahrzehntelang niemand vorstellen. „Eigentlich komisch, denn ein gedruckter Schaltplan bringt natürlich auch viele Nachteile mit sich“, weiß Heinz-Dieter Finke, Technischer Geschäftsführer bei Westermann. So etwa beim Schichtwechsel: Wie weit ist der Kollege mit der Arbeit gekommen? Welche Verdrahtungen fehlen?
Gut zu wissen
25
Prozent schneller ist ein gelernter Mitarbeiter bei der Verdrahtung, wenn er durch Eplan Smart Wiring
unterstützt wird.
16
Prozent Zeit sparen Auszubildende bei der Verdrahtung mithilfe der
Eplan Lösung.
19
Verdrahtungen schafften ungelernte Mitarbeiter mithilfe der Eplan Software – ohne Eplan Smart Wiring waren es null.
Und wie sind die handschriftlichen Anmerkungen auf dem Schaltplan zu verstehen? Um solche Schwierigkeiten in Zukunft möglichst zu vermeiden, setzt das Unternehmen bei der Schaltschrankverdrahtung seit Kurzem auf eine digitale Verdrahtungslösung. Unterstützt wird es vom Fraunhofer-Institut für Entwurfstechnik Mechatronik (Fraunhofer IEM) und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. „Als Teil des Kompetenzzentrums Digital in NRW stehen wir mittelständischen Unternehmen bei der Digitalisierung zur Seite“, erläutert Robert Joppen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fraunhofer IEM das Projekt bei der Schaltanlagenbau GmbH H. Westermann betreut. Im Rahmen des Kompetenzzentrums entwickeln Joppen und seine Kollegen individuelle Lösungen für die Realisierung von Industrie 4.0. Die Digitalisierung im Schaltanlagenbau ist dabei aber nur eins von insgesamt sechs sogenannten Umsetzungsprojekten. Die hier erzielten Erfolge sollen später als Vorbild für andere Unternehmen aus der Branche dienen.
Vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen
Die Schaltanlagenbau GmbH H. Westermann aus Minden ist ein typischer Vertreter der mittelständisch geprägten Branche. An zwei Standorten beschäftigt das 1983 gegründete Unternehmen rund 70 Mitarbeiter. „Wir stehen an der Schwelle vom Handwerksbetrieb zum Industrieunternehmen“, sagt der Kaufmännische Geschäftsführer Uwe Friedrichs. Schaltanlagenbau, Automatisierungstechnik und Kabelkonfektionierung sind die wesentlichen Tätigkeitsfelder.
„Mit der Erweiterung der Produktionsflächen haben wir unsere Fertigung optimiert“, erzählt Finke. „Wir haben uns neu aufgestellt und die Abläufe neu strukturiert. Das Digitalisierungsprojekt passt daher sehr gut in unsere Strategie.“ Generell biete die Digitalisierung nach Meinung des Geschäftsführers interessante Potenziale in diesem sich verändernden Markt.
Die Ausgangsfrage bei dem Projekt lautete: Was bedeutet Industrie 4.0 für den Schaltanlagenbau? In einer Studie wurden dazu zunächst verschiedene Unternehmen aus der Branche befragt, um so wichtige Trends zu identifizieren. Dabei wurde die gesamte Prozesskette von der Projektierung über Arbeitsvorbereitung, mechanische Bearbeitung, Bestückung der Komponenten, Verdrahtung bis hin zu Prüfung und Inbetriebnahme betrachtet. „Mit rund 50 Prozent des Arbeitsaufwands stellt das Verdrahten den größten Anteil am Gesamtaufwand zur Erstellung eines Schaltschranks dar“, weiß Joppen. Hier liegt somit eines der größten Potenziale im Unternehmen. Diese lassen sich natürlich nur durch eine ganzheitliche Sichtweise auf das Unternehmen heben.“
Daher hat sich das Umsetzungsprojekt auf diesen Teilprozess innerhalb der gesamten Prozesskette konzentriert. Bei der Umsetzung des Projekts war ein Begleitkreis beteiligt, der sich aus Vertretern der Unternehmen Eplan, Phoenix Contact, Rittal, Wago und Weidmüller zusammensetzt. Diese lieferten fachliches Know-how für Komponenten, Software und Prozesse im Bereich Schaltanlagenbau und brachten ihre eigenen Praxiserfahrungen in das Projekt ein.
Durchgängige Datenhaltung notwendig
Eine wichtige Grundvoraussetzung, um die Digitalisierung im Schaltanlagenbau weiter voranzutreiben, ist eine durchgängige Datenhaltung. „Schon früh im Projekt zeigte sich, dass hier viele Medienbrüche existieren“, sagt Robert Joppen. Ein Grund hierfür: Bei vielen Projekten liefert der Auftraggeber die Planung bereits mit, und dies häufig nicht in Form einer Elektroplanung in Eplan, sondern als PDF-Schaltplan. Dadurch müssen Daten für eine Digitalisierung in der Fertigung beim Schaltanlagenbauer teilweise nochmals erfasst werden. „Wenn wir die Planung bei uns im Hause machen, haben wir diesen zusätzlichen Aufwand nicht“, betont Heinz-Dieter Finke. Dies ist allerdings nur bei rund 25 Prozent der Aufträge der Fall.
Im Rahmen des Umsetzungsprojekts wurde ein Demonstrator entwickelt, an dem der Einsatz der papierlosen Verdrahtung getestet werden sollte. Dabei wurde eine Schaltanlage mit typischen Komponenten in einem AE-Gehäuse von Rittal aufgebaut. Auf Basis dieses Demonstrators wurde eine wissenschaftliche Evaluierung der Fertigung durchgeführt. Verschiedene Mitarbeiter – ein ausgebildeter Elektriker, ein Auszubildender und ein angelernter Mitarbeiter – haben im Rahmen der Untersuchung den Demonstrator verdrahtet. Alle sollten die Aufgabe einmal auf herkömmliche Weise mit gedrucktem Schaltplan und einmal mit der Hilfe von Smart Wiring durchführen. Dabei wurden die Zeiten für die einzelnen Arbeitsschritte sowie die Qualität der Verdrahtung dokumentiert. Außerdem haben die Mitarbeiter einen Fragebogen ausgefüllt, in dem subjektive Erfahrungen abgefragt wurden.
Papierlos verdrahtet
Das Verdrahten der Komponenten im Schaltschrank ist mit viel manueller Arbeit verbunden. „Bei der Aufnahme der Istsituation haben wir die papierlose Fertigung als mögliches Projekt identifiziert“, erläutert Robert Joppen. Bisher werden die Schaltpläne ausgedruckt und stehen dem Elektriker, der die Verdrahtung vornimmt, während seiner Arbeit zur Verfügung. Jede durchgeführte Verdrahtung wird im Schaltplan abgehakt, um so den Arbeitsfortschritt zu dokumentieren. Dieses klassische Verfahren hat mehrere Nachteile: So sind die Markierungen teilweise sehr individuell; führt ein Mitarbeiter etwa die angefangene Arbeit eines Kollegen weiter, was beispielsweise im Schichtbetrieb häufig vorkommt, muss er sich erst in dessen Markierungen zurechtfinden. Außerdem ist ein gedruckter Schaltplan immer nur das Abbild des Projekts zu einem bestimmten Zeitpunkt. Änderungen, die nach dem Ausdruck des Schaltplans vorgenommen werden, sind darin nicht enthalten. Auch wenn der Elektriker die Verdrahtung anders ausführt als auf dem Schaltplan vorgesehen, dokumentiert er dies nur auf der ausgedruckten Version.
Um eine durchgängige und stets aktuelle Datenhaltung während der Verdrahtung zu gewährleisten, sollte der Mitarbeiter auf die digitalen und damit stets aktuellen Planungsdaten zugreifen können. Gleichzeitig kann eine digitale Verdrahtungsunterstützung eine wertvolle Arbeitserleichterung darstellen. „Zunächst war nicht klar, ob wir im Rahmen des Projekts selbst eine Tablet-basierte Lösung entwickeln müssten“, erinnert sich Robert Joppen. Bei der Marktrecherche stieß man aber schnell auf die Lösung Eplan Smart Wiring, die alle gewünschten Funktionalitäten bietet. Auf einem Tablet zeigt die Software alle einzelnen Verbindungen an, die verdrahtet werden müssen. Dabei sind neben Quell- und Zielpunkt der Verdrahtung auch die Farbe, der Querschnitt und die Aderendbehandlung sowie die Anschlusspunktbezeichnungen dargestellt. Wenn für die Anlage ein virtueller Prototyp in Eplan Pro Panel erstellt wurde, kann auch der Verlegeweg der Leitung visualisiert werden. Durch die digitale Übermittlung der Schaltpläne an den Arbeitsplatz können außerdem Änderungen am Projekt in Echtzeit kommuniziert werden.
„In den vorläufigen Ergebnissen der Evaluierung zeigte sich ein klarer Zeitgewinn bei der Verdrahtung, auch wenn darauf nicht der Hauptfokus lag“, kommentiert Robert Joppen die Untersuchung. Der angelernte Mitarbeiter war überhaupt nur mit dem Tablet in der Lage, den Schaltschrank zu verdrahten. Auch ein Anstieg der Qualität aufgrund einer einheitlichen Vorgehensweise lässt sich erwarten. Auffällig war außerdem, dass die Mitarbeiter die Smart-Wiring-Lösung auf ihre Arbeitsweise angepasst haben. So verwendeten sie beispielsweise die Filter der Anwendung, um ihre Arbeitspakete besser zu planen. Der Zeitgewinn bei der Verdrahtung ist teilweise darauf zurückzuführen.
Digitalisierung hat geradeerst begonnen
Im Rahmen des Umsetzungsprojekts hat sich gezeigt, dass die Digitalisierung bei der Verdrahtung im Schaltanlagenbau sehr gut funktioniert. Im nächsten Schritt soll die Umsetzung jetzt im realen Betrieb erfolgen und als Standardprozess etabliert werden. Das wird aber sicher noch einige Zeit in Anspruch nehmen. So meint etwa Uwe Friedrichs: „In den nächsten fünf Jahren sind wir da sicher ein Stück weiter.“ Eine der Hauptaufgaben sehen die Beteiligten in der Integration der Prozesse mit den Kunden, um so die Medienbrüche bei der Datenhaltung zu vermeiden. Dass dies nicht in allen Fällen und zu 100 Prozent gelingen wird, weiß auch Robert Joppen: „Auch in Zukunft wird es einen kleinen Anteil an Projekten geben, bei denen mit gedruckten Schaltplänen gearbeitet werden muss.“ Mit der Digitalisierung wollen die Geschäftsführer von H. Westermann, Uwe Friedrichs und Heinz-Dieter Finke, Potenziale in der Fertigung erschließen.