Text Peter Nederstigt ––– Fotografie
Gut neun Monate liegt die Flutkatastrophe vom Sommer 2021 inzwischen zurück. Doch die Bilder werden uns wohl nie aus dem Kopf gehen. Im Ahrtal und in Teilen Nordrhein-Westfalens ließen 184 Menschen in den Wassermassen ihr Leben, Tausende verloren über Nacht ihr Zuhause. Laut Münchener Rück entstanden allein in Deutschland Schäden in Höhe von 33 Milliarden Euro. Bis die materiellen Folgen dieses Jahrhunderthochwassers beseitigt sind, werden noch Jahre vergehen. Es war eine Katastrophe, wie sie unser Land seit 60 Jahren – seit der Hamburger Sturmflut 1962 – nicht mehr erlebt hat.
Die Bilder und Berichte vom Leid der betroffenen Menschen lösten im Sommer 2021 eine beispiellose Spendenbereitschaft aus. Auch die Beschäftigten der Friedhelm Loh Group und ihr Inhaber Prof. Friedhelm Loh sammelten innerhalb weniger Wochen 930.000 Euro für die Flutopfer. Mit der Verteilung der Spenden wurde die Rittal Foundation beauftragt, um Projekte aus den drei Bereichen Bildung, Diakonie/Soziales sowie Kultur und Wissenschaft zu fördern.
Bis Ende Februar hat die Stiftung bereits rund zwei Drittel der Spendensumme an Initiativen in den Flutgebieten ausgezahlt (siehe Tabelle "Spendeneinsatz"). „Unser Ziel war es, Hilfe schnell dahin zu bringen, wo sie zeitnah und trotzdem nachhaltig die Situation verbessert. Dazu standen wir von Anfang an in engem Austausch zu Betroffenen und Initiativen vor Ort“, berichtet Rainer Reissner, seit Herbst 2021 Geschäftsführer der Rittal Foundation. Gemeinsam mit dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Stiftung, Friedemann Hensgen, besuchte Reissner Mitte Februar einige der unterstützten Initiativen im Ahrtal und in Euskirchen wie die Boeselager-Realschule in Ahrweiler, um aus erster Hand zu erfahren, was ihre Hilfe bewirkt hat und wo weitere Unterstützung erforderlich ist.
Zu den engagierten Helfern, die sie auf ihrer Reise trafen, gehört auch Guido Henseler, Vorsitzender des Vereins Spenden-Shuttle. Obwohl er selbst kaum von der Flut betroffen war, hilft der dreifache Familienvater seitdem Opfern der Flut, wo immer er kann. In Dernau und anderen betroffenen Orten im Ahrtal baute der Wasserbauexperte zunächst eine provisorische Trinkwasseranlage auf. Henseler nahm sogar einen Kredit über 50.000 Euro auf, bevor eine Freundin 130.000 Euro Spenden für sein Engagement sammelte.
„Damals habe ich gemerkt: Helfen macht richtig Spaß!“, erzählt er Mitte Februar seinen beiden Besuchern. Gemeinsam stehen sie in einem großen Zelt am Ahrufer in Ahrweiler. Dort hat der Verein vor Kurzem das KinderpAHRadies eröffnet, einen Indoorspielplatz für Flutkinder. Hier können sie für ein paar Stunden ihren bedrückenden Alltag hinter sich lassen. Denn noch immer sind überall im Ahrtal die Folgen der Flut zu sehen. „Viele Mitarbeiter in den Kommunen sind selbst betroffen und überlastet. Da fallen Freizeitaktivitäten für Kinder schon mal hintenüber. Diese Lücke wollen wir füllen“, erzählt Henseler. Sein Arbeitgeber stellt ihn einen Tag pro Woche bezahlt frei.
Die Rittal Foundation hat das Engagement mit 25.000 Euro unterstützt. Daneben ist noch Geld aus vorangegangenen Spendenaktionen vorhanden.
„Momentan ist unsere Finanzierung gesichert“, berichtet Henseler. Sorgen bereiten ihm die enormen Heizkosten für das Zelt, im Winter bis zu 14.000 Euro pro Monat. Bislang hat der Verein das Heizöl aus der Notversorgung für die Helfer im Ahrtal erhalten. „Aber falls wir eine Rechnung bezahlen müssen, wird es knapp.“ Lieber möchte er dieses Geld nutzen, um Helfer einzustellen, damit er das Angebot ausbauen kann. Schon jetzt wird der Spielplatz gut besucht. In den ersten Wochen kamen rund 600 Kinder. Ein Caterer, der sein Café schließen musste, bietet Pommes, Pizza & Co. Die Caritas will in dem Zelt eine mobile Beratungsstelle für Flutopfer einrichten. Aufhören kommt für Henseler trotz der drohenden Heizkosten nicht infrage: „Wenn hier ein paar hundert Kinder ihren Spaß haben, ist es die Sache wert.“
ANLAUFSTELLE FÜR PSYCHISCH ERKRANKTE
In Bad Neuenahr, dem Nachbarort von Ahrweiler, hat die Stiftung Bethesda-St. Martin bis zur Flut ein Gemeindepsychatrisches Zentrum (GPZ) betrieben. Angegliedert war eine Tagesstätte, die täglich von bis zu 20 psychisch erkrankten erwachsenen Menschen aus der Umgebung besucht wurde. Viele von ihnen erhielten auch eine zusätzliche ambulante Betreuung in ihrer Wohnung. Außerdem befanden sich in dem Zentrum die Büroräume des ambulanten Dienstes. „In der Flutnacht wurden die Tagesstätte und die Büros meterhoch überflutet, obwohl das Gebäude fast 200 Meter vom Ufer der Ahr entfernt lag. Auch der Fuhrpark unseres ambulanten Dienstes fiel den Fluten zum Opfer“, berichtet Stefan Feld, Geschäftsführer der Bethesda-St. Martin gemeinnützigen GmbH.
In den Wochen danach konnten Felds Mitarbeiter ihre Patienten nur mobil betreuen. Die zerstörten Räumlichkeiten können voraussichtlich frühestens Anfang 2023 wieder genutzt werden. Deshalb sind die Tagesstätte und die Büros im November 2021 übergangsweise in ein Haus in Vettelhoven eingezogen, einen Ort oberhalb des Ahrtals. „Gerade jetzt ist unser Angebot wichtiger denn je“, glaubt Feld. Die Rittal Foundation hat insgesamt 45.000 Euro zur Verfügung gestellt. Davon wurden unter anderem eine Küche sowie weiteres Mobiliar für die Tagesstätte angeschafft, außerdem ein Kleinbus mit Elektromotor für den ambulanten Dienst. „Es gibt viel zu tun, und wir haben engagierte Mitarbeitende in unseren Reihen“, sagt Feld. Auch dank der Spende der Rittal Foundation schaut er wieder zuversichtlich in die Zukunft.
PERSPEKTIVE FÜR LANGZEITARBEITSLOSE
Martin Jost, der Vorstandsvorsitzende der Caritas Euskirchen, empfängt die Besucher der Rittal Foundation in einem ehemaligen Kino mitten in der Kreisstadt, die ebenfalls stark von der Katastrophe betroffen war. Vorher konnten sich die Menschen hier günstig gebrauchte Möbel und Einrichtungsgegenstände besorgen. Doch aktuell dient es nur als Lager. „Leider wurde es bei der Flut stark beschädigt“, erzählt Jost. Bei den Waren handelte es sich in der Regel um Spenden, die von Teilnehmenden eines Projekts für Langzeitarbeitslose abgeholt wurden. Doch ein Pritschenwagen zum Transport der Sachen ist bei der Flut verloren gegangen.
Ohne Fahrzeug konnten wir keine Dienste übernehmen“, sagt Jost. Dank der Spende der Rittal Foundation in Höhe von 20.000 Euro konnte er inzwischen ein Ersatzfahrzeug beschaffen. „Es ist wichtig, dass die Arbeitslosen weiterhin eine Beschäftigung haben. Sie freuen sich über die Perspektive“, so Jost. Demnächst will er mithilfe der Rittal Foundation auch noch ein neues Fahrzeug für die Tagespflege von Senioren anschaffen.
MITARBEITER LEBEN SOLIDARITÄT
Etliche Mitarbeitende der Friedhelm Loh Group belassen es nicht bei Spenden, sondern packen auch beim Wiederaufbau selbst mit an. Einer von ihnen ist Dirk Heupel, seit vielen Jahren Mitarbeiter in der Gebäudetechnik bei Loh Services. In den ersten Wochen nach der Flut hat er mit vielen tausend weiteren freiwilligen Helfern im Ahrtal eimerweise Schlamm aus den Häusern geschleppt. Seit August hilft der gelernte Schlosser fast jedes Wochenende einer Familie aus Dernau beim Wiederaufbau ihres Hauses. „Mich haben unser Inhaber und die Kollegen geprägt, für die der Einsatz für andere selbstverständlich ist“, sagt Heupel, der seit über 30 Jahren in der Unternehmensgruppe beschäftigt ist.
So erhielt er 2021 drei Tage Sonderurlaub, und die Firma stellte ihm ein Fahrzeug zur Verfügung. Zum Jahrestag der Flut will er im Sommer zum zweiten Mal von Dillenburg nach Dernau wandern, um Spenden für die Familie zu sammeln. Seine Energie schöpft er aus der Dankbarkeit der Menschen an der Ahr. „Ihre größte Angst ist es, von den Menschen außerhalb der Flutgebiete vergessen zu werden.“