Text Dr. Jörg Lantzsch ––– Fotografie
Die Energiewende ist in vollem Gange. Ein Aspekt, der dabei selten im Fokus steht, ist der notwendige Umbau der Verteilnetze. „Die Energiewende findet in den Ortsnetzstationen statt“, ist sich Ulrich Hempen sicher. Als Vice President der Business Unit Solutions ist er bei WAGO für den Bereich Energie, Gebäude und Industrie zuständig. Seine Business Unit entwickelt Lösungen, mit denen die Ortsnetze smart werden. Doch wozu werden smarte Ortsnetze überhaupt benötigt? Die verschiedenen dezentralen Energieerzeuger – von der Solaranlage auf dem Hausdach bis zur Windenergieanlage – speisen Energie in die Netze ein; je nach Verfügbarkeit von Wind und Sonne schwanken die Mengen. Zusammen mit dem ebenfalls ungleichmäßigen Verbrauch führt dies zu Schwankungen von Netzfrequenz und -spannung. Diese dürfen allerdings nur wenige Volt bzw. Millihertz betragen, sonst schaltet der Transformator ab, der die Mittelspannung in die Niederspannung für die Verbraucher wandelt – es kommt zum Stromausfall.
Die Lösungen für smarte Ortsnetzstationen liefert WAGO als Komplettsysteme. Diese bestehen aus den kompakten Fernwirkcontrollern der Serie PFC200, die modular mit den notwendigen Messklemmen für die einzelnen Niederspannungsabgänge ausgestattet werden. Die gemessenen Daten werden an die Netzleittechnik des Verteilnetzbetreibers übermittelt. Das dazu verwendete Protokoll gemäß IEC 60870-5-104 beherrschen die Controller von WAGO ebenfalls. Ein großer deutscher Ortsnetzbetreiber hat WAGO jetzt damit beauftragt, ein einbaufertiges System zu entwickeln und zu produzieren, das die komplette Messtechnik und Datenübertragung übernehmen kann.
Eine besondere Herausforderung hierbei ist die schiere Anzahl der Ortsnetzstationen, die umgerüstet werden müssen. Um die großen Stückzahlen zu realisieren, sind starke Partner, eine hohe Standardisierung und eine Serienfertigung notwendig. WAGO hat mit der Fertigung der Systeme das Unternehmen Schaltanlagenbau GmbH H. Westermann beauftragt. „Ein Schaltanlagenbauer muss die Serienfertigung in großen Stückzahlen handhaben können“, sagt Heinz-Dieter Finke, Geschäftsführer der Schaltanlagenbau GmbH H. Westermann. Das in Minden ansässige Unternehmen bietet Leistungen in Engineering und Fertigung an. Die Schaltschränke, in denen sämtliche Komponenten des Systems installiert werden, kommen von Rittal. Denn ein AX-Kompakt-Schaltschrank mit den Abmessungen 400 x 800 x 300 mm ist aus Sicht der Projektpartner für die Anwendung optimal geeignet.
VERFÜGBARKEIT IST ENTSCHEIDEND
„Für die Serienproduktion beziehen wir die Schaltschränke schon inklusive aller Ausfräsungen und Bohrungen direkt von Rittal“, erzählt Uwe Friedrichs, Geschäftsführer des Schaltanlagenbauers. Nur so kann das mittelständische Unternehmen die hohen Stückzahlen in der Fertigung überhaupt erreichen. Sämtliche Komponenten, die überwiegend WAGO bereitstellt, werden auf einer Montageplatte montiert und verdrahtet, sodass diese anschließend komplett in den Schaltschrank eingebaut werden kann. Der Schaltanlagenbauer hat für dieses Projekt eine gesonderte Serienfertigung eingerichtet, um die Komplettsysteme schnell und zuverlässig an WAGO liefern zu können. Die Liefertreue der Zulieferer ist für die Fertigung natürlich sehr wichtig, wie Uwe Friedrichs betont: „Hier ist Rittal vorbildlich. Wir können die Schaltschränke immer passend für die Serienfertigung bestellen und bekommen sie rechtzeitig geliefert.“ Gerade in der aktuellen Situation, die von Lieferkettenproblemen geprägt ist, ein unschätzbarer Vorteil. Lieferfähigkeit und Verfügbarkeit spielen im gesamten Projekt eine wichtige Rolle. Dass der Ortsnetzbetreiber Schaltschränke von Rittal in seinem Pflichtenheft vorgibt, hat nach Ulrich Hempens Auffassung auch mit der langfristigen Verfügbarkeit zu tun: „Bei Verteilnetzen wurde früher oft eine Verfügbarkeit der Komponenten von bis zu 30 Jahren gefordert. Heute sind es immer noch 15 bis 20 Jahre, in denen Ersatzteile garantiert lieferbar sein müssen.“ Für diese Lieferperformance benötigt es Partner wie Rittal. Hinzu komme natürlich noch die bekannt hohe Qualität und der einfache Ausbau der Schaltschränke.
WEITERE NETZ-DIGITALISIERUNG NÖTIG
Die Messung der Parameter in den Ortsnetzstationen, wie sie die Systeme von WAGO bieten, ist allerdings nur der erste Schritt auf dem Weg zu intelligenten Verteilnetzen. Der neue §14a des Energiewirtschaftsgesetzes sieht vor, dass Verbraucher, die eine netzorientierte Steuerung des Verbrauchs mit dem Netzbetreiber vereinbaren, ein geringeres Netzentgelt zahlen müssen. Dies könnte beispielsweise bedeuten, dass der Ladepark die Elektrofahrzeuge erst dann lädt, wenn andere Verbraucher abgeschaltet sind oder wenn der Wind auffrischt und die nächste Windenergieanlage mehr Energie einspeist. Dazu müssen die Ortsnetzstationen weiter digitalisiert werden. Zu der jetzt installierten Messung von Parametern muss dann eine bidirektionale Energieregelung auf der Ebene der Verteilnetze kommen. So schreitet der Umbau des Energiesystems auch vor Ort immer weiter voran.