Text Joscha Duhme und Patricia Späth ––– Fotografie
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Passagiere fasst die „Norwegian Joy“. Sie alle haben Zugriff auf digitales Entertainment, nutzen bargeldlose Bezahlsysteme und spielen in den riesigen Kasinos an Bord. Das fordert die IT-Systeme im Hintergrund.
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Crewmitglieder an Bord greifen unter anderem auf das Passagiermanagement zu, navigieren satellitengestützt, bestellen online Lebensmittel und überwachen die Maschinen.
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Technikräume im Innern des Kreuzfahrtschiffs sind mit jeweils drei IT-Racks und zwei Luft-Wasser-Wärmetauschern ausgestattet.
Heute klappt es ganz bestimmt. Zuversichtliche Glücksjäger, wohin man blickt. Die einarmigen Banditen rattern. Mit dem Auge kaum zu verfolgen, rasen Kirschen, Dollarscheine und Blitze auf rotierenden Walzen durch die Sichtfenster der Spielautomaten. Aufgeregte Stimmen schwirren durch den Saal und alle Spieltische sind belegt. Der Jackpot scheint zum Greifen nah. Viva Las Vegas – könnte man meinen. Doch dieses Eldorado für Kasinofans befindet sich nicht in Nevada, sondern auf hoher See – an Bord der „Norwegian Joy“.Das viertgrößte Kreuzfahrtschiff der Welt stammt aus der deutschen Meyer Werft und ist speziell auf den asiatischen Markt ausgelegt. Der Schiffbauer aus Papenburg, der seit mehr als 25 Jahren auch Tanker und Frachter produziert und zu den weltweit führenden gehört, kennt dessen Bedarf genau. „Dort erwarten die Kunden neben größeren Kabinen für komplette Familien auch größere Kasinos“, erklärt Frank Langen, Technical Design Department bei der Meyer Werft. Und die müssen nicht nur räumlich in das Schiff integriert werden. Auch an die IT-Systeme stellen solche Entertainment-Angebote hohe Anforderungen, damit Sicherheit, Monitoring, Abrechnung und Spielbetrieb reibungslos vonstattengehen.
IT-Bedarf wie eine Kleinstadt
IT ist mittlerweile ein elementarer Faktor für die schwimmenden Kleinstädte, die in immer größerer Anzahl und mit größeren Kapazitäten auf den Ozeanen unterwegs sind. Die Ansprüche der Passagiere an digitale Freizeitaktivitäten steigen. Für viele ist das Schiff, das einem schwimmenden Freizeitpark gleicht, das eigentliche Ziel des Urlaubs, weniger die angelaufenen Häfen und Städte. Die „Norwegian Joy“ verfügt sogar über eine eigene Kartbahn an Deck. Eine solche schwimmende Stadt muss daher höchsten Komfort bieten. Video-on-Demand in der Kabine, ein mobiler Internetzugang sowie bargeldloses Zahlen sind für viele Passagiere fast schon selbstverständlich. Gleichzeitig setzt die Crew auf satellitengestützte Navigation auf der Brücke, zentrale Kassensysteme in den Bordrestaurants oder jederzeitige Überwachung der Leistungsdaten im Maschinenraum. Ohne leistungsfähige Rechenzentren an Bord sind solche Services undenkbar.
Für die Werft ist der Einbau eines Rechenzentrums zwar nur eine der zahlreichen Herausforderungen beim Schiffbau. Aber wie bei der Montage der 1.925 Kabinen auf dem 333 Meter langen Schiff ist für die IT jede Menge Fachwissen notwendig. Immer größere Schiffe stechen Jahr für Jahr in See. Dennoch ist der Platz an Bord eines Passagierschiffes für Technikräume oder Rechenzentren, im Vergleich zu dem für gewinnbringende Kabinen und Restaurants, sehr begrenzt. Auch Reparaturen der IT-Infrastruktur sind Hunderte Seemeilen vom nächsten Hafen entfernt nur eingeschränkt möglich. „Während einer Reise müssen Teile daher einfach austauschbar sein. Außerdem sollte der IT-Systemlieferant in den Zielländern des Schiffes technischen Service anbieten“, stellt Langen hohe Anforderungen an die Verfügbarkeit.
Racks trotzen Vibrationen
„Die großen Dieselmotoren sorgen für permanente Vibrationen, sodass spezielle Gummilager die IT Racks schützen müssen. Auch die Schiffsbewegungen auf dem offenen Meer müssen entsprechend ausgeglichen werden. Zudem können Temperatur und Luftfeuchte je nach Fahrgebiet stark schwanken“, nennt Wilfried Braun, Key Account Manager bei Rittal, zusätzliche Schwierigkeiten, die IT-Anbieter auf Schiffen meistern müssen. Rittal konzipierte die Rechenzentren für die „Norwegian Joy“. „Seit Jahren arbeiten wir erfolgreich mit Rittal zusammen. In dieser Zeit haben wir gemeinsam immer wieder clevere Lösungen entwickelt, um empfindliche IT-Komponenten ausfallsicher und platzsparend auf Schiffen zu installieren”, sagt Frank Langen.
Der platzoptimierte Einbau ist demnach eine der zentralen Anforderungen. Ebenso wie ein autarker Betrieb der Rechenzentren sowie die Beherrschbarkeit der Anlagen durch an Bord reisende Techniker. Die Langlebigkeit des Schiffes, das bis zu 25 Jahre auf See bleiben soll, verlangt nach qualitativ hochwertigen Bauteilen für die IT-Technik. Weitere Punkte sind eine hohe Flexibilität, Skalierbarkeit und Austauschbarkeit von IT-Modulen, denn oftmals werden Schiffstypen je nach Zielgebiet umgerüstet, wie bei der Ausrichtung der „Norwegian Joy“ auf den asiatischen Markt.
Seriengehäuse für Serienschiff
Von ihrer Klasse sind auf der Meyer Werft bis zu sechs Schiffe geplant – mit zu rund 95 Prozent identischen Außenhüllen und Montage in Modulbauweisen. „Bei der Auslegung der IT-Infrastruktur ist daher ebenfalls ein hoher Grad an Standardisierung notwendig, um die Serverracks, Kühlung und Stromversorgung schnell und einfach einbauen zu können“, erklärt Braun. Ein Ausfall der IT-Systeme könnte auf dem Meer zu einer akuten Sicherheitsgefährdung und Chaos führen. Darum verfügt die „Norwegian Joy“ über zwei redundante und räumlich getrennte Rechenzentren in unterschiedlichen Feuerzonen. Im Schiff sind mehr als 25 Technikräume vorhanden, in denen jeweils drei IT Racks und zwei Luft-Wasser-Wärmetauscher (LWWT) für die IT-Kühlung stehen. „Diese Kühlgeräte sind eigentlich für Industrieumgebungen konzipiert, haben sich aber aufgrund des geringen Platzbedarfs und der Luftführung als ideale Lösung zur Kühlung der Verteilerräume herausgestellt“, erläutert Braun.
Herkömmliche Kühlkonzepte kommen in den Rechenzentren zum Einsatz. In den IT-Räumen stehen bis zu zehn TS IT Racks von Rittal. Die Racks sind geschlossen und werden über flüssigkeitsbasierte Kühlsysteme der LCP-Serie (Liquid Cooling Package) mit bis zu 30 Kilowatt Leistung klimatisiert. Die Kühlgeräte sind direkt an den Seitenwänden der Racks angebracht. So kann die warme Luft der Server direkt gekühlt werden und die gesamte Anlage arbeitet extrem effizient. Die Kühlung der warmen Abluft erfolgt über kaltes Wasser, das über die redundant ausgelegten Wasserkreisläufe des Schiffes zur Verfügung steht. Die schiffseigenen Chiller stellen hierfür ausreichend kühles Wasser bereit. Gleiches gilt für die Stromversorgung, wie Langen berichtet: „Fünf große Dieselmaschinen mit fünf Generatoren sorgen für unterbrechungsfreien Strom auf dem gesamten Schiff.“
Gedoppelte IT-Systeme
Die auf dem Schiff benötigte IT-Leistung umfasst ganz unterschiedliche Dienste von administrativer Software bis zu Telefonnetzen. Klassisch wird im Rechenzentrum die Kommunikation abgewickelt, wie die DECT-Telefon-Systeme für die Crew sowie das Telefonie- und WLAN-Netz. Zugleich laufen dort auch das Entertainment- und Kasinosystem, Software für Warenwirtschaft, Hotelbetrieb und Bewirtung sowie Kassensysteme. „Komplett getrennt von dieser IT sind alle nautischen Schiffsanlagen auf der Brücke und sicherheitsrelevante Schiffssysteme“, so Langen.
Kontinuierlich kommen neue IT-Technologien auf den Markt, die auch auf den Schiffen installiert werden müssen. „So verändern sich fast jährlich die Multimedia-Anwendungen an Bord, die WLAN-Nutzung steigt und bargeldloses Zahlen ist erwünscht. Daher benötigen wir eine hohe Flexibilität im Rechenzentrum, um auch künftige Trends zu unterstützen. Rittal hat uns dafür eine zukunftssichere Infrastruktur für das Rechenzentrum geliefert”, sagt Langen.
„Wer sich als Zulieferer im Schiffbau behaupten möchte, muss zudem besondere Leistungen bei Wartung und Reparatur anbieten“, weiß Braun. So gibt Rittal auf die Komponenten für das Schiffsrechenzentrum eine weltweite Garantie. Hinzu kommt eine globale Unterstützung im Servicefall, um beispielsweise Ersatzteile weltweit liefern zu können. Weltweit 58 Tochtergesellschaften gewährleisten schnelle Verfügbarkeit in allen Regionen der Erde.
Komfort ist nicht nur für die Passagiere gefordert. Auch die Techniker, die sich um die IT kümmern, brauchen Konzepte, die den schnellen Einbau und die effiziente Wartung der Rechenzentren ermöglichen. Dies gilt auf hoher See genauso wie im Rechenzentrum an Land.