Text David Schahinian ––– Fotografie
Die Idee ist einfach: Der Strom wird dort genutzt, wo er ohnehin klimaneutral produziert wird – direkt im Windrad. Was vor mehr als zehn Jahren als Experimentalprojekt begann, ist unter der Marke windCORES längst in industriellem Maßstab skalierbar.
Die erfolgreiche Realisierung des Projekts im großen Maßstab ist dabei keinesfalls vom Himmel gefallen. Zwar klingt es einfach, ein Windrad als bestehende Infrastruktur zu nutzen und Racks einzubauen. Es gibt aber limitierende Faktoren. So muss neben der Statik, der Sicherheit und der Brandlast auch die begrenzte Fläche einkalkuliert werden. Gemeinsam mit Rittal entwickelte WestfalenWIND IT ein Drei-Ebenen-Modell, das es ermöglicht, ein mehrgeschossiges Rechenzentrum in den Fuß eines Turbinenturms zu bauen. Damit wird die Wirtschaftlichkeit pro Windenergieanlage erheblich erhöht. Auch die Bestückung der Racks bietet Spielraum.
„WIE BEI EINEM BUDDELSCHIFF“
Mit einem Konzept allein ist jedoch noch nicht viel gewonnen. Die Umsetzung in die Praxis gelang nach intensiver Vorplanung: „Das war schon eine Herausforderung wie bei einem Buddelschiff, denn die ganze Technik muss durch einen kleinen Eingang passen“, berichtet Dr. Fiete Dubberke, Geschäftsführer von WestfalenWIND IT.
Michael Nicolai, Leiter Rittal IT Vertrieb in Deutschland, ergänzt: „Für uns ist der energieeffiziente Betrieb von Rechenzentren schon lange ein Kernthema. Da lag eine Zusammenarbeit mit einem Produzenten von günstigem und nachhaltigem Strom auf der Hand. Es ist eine klassische Win-win-Situation, die sich im gemeinsamen Gestaltungswillen äußert: Wir suchen keine Probleme, wir lösen sie.“
Die Lebensadern von Rechenzentren sind ihre Stromversorgung und Netzwerkanbindung. Erstere liegt bei windCORES buchstäblich nahe: Der Strom kommt direkt aus dem Generator der Windkraftanlage, zumindest während 90 Prozent des Jahres. In der übrigen Zeit muss Strom aus dem öffentlichen Netz bezogen werden. WestfalenWIND IT arbeitet mit zwei verschiedenen Netzbetreibern zusammen, um jederzeit eine qualitativ hochwertige Stromversorgung gewährleisten zu können. Bei vielen Anwendungen lassen sich große Rechenlasten auch zeitlich steuern und in Phasen mit viel Wind legen. So könnte das Rechenzentrum fast vollständig mit regenerativer Energie betrieben werden. Auch bei der Netzwerkanbindung wird mit doppeltem Boden gearbeitet. Zwei Backbone-Anbindungen sorgen für redundante Datenautobahnen zum Internetknoten DE-CIX nach Frankfurt. „Unsere Infrastruktur ist sehr latenzarm und bandbreitenperformant aufgestellt“, versichert Fiete Dubberke.
STEILE LERNKURVE
Neben der technischen Umsetzung galt es zunächst, eine weitere Herausforderung zu meistern: Es dauerte eine Weile, bis alle Genehmigungen für die erste windCORES-Anlage im Kreis Paderborn vorlagen. Mittlerweile ist windCORES II im nordrhein-westfälischen Lichtenau in Betrieb genommen worden. Dort werden künftig sowohl HPC für KI als auch Simulationen für autonomes Fahren ausgeführt. Während die Infrastruktur, wie Sicherheitsräume, IT-Racks oder die Klimatisierung, von Rittal zur Verfügung gestellt wird, agiert WestfalenWIND IT als nachhaltiger IaaS-Anbieter inklusive kompletter Cloud-Lösungen.
Apropos Infrastruktur: Sie ist ein wichtiges Kriterium bei allen Wirtschaftlichkeitsberechnungen. Dass der Bedarf an Rechenkapazität seit Jahren stark wächst und dieser Trend aufgrund neuer Technologien weiter anhalten wird, ist sicher. Die Realität hinkt diesen Ansprüchen aber manchmal hinterher: Bis ein herkömmliches Rechenzentrum gebaut ist, können mitunter Jahre vergehen – von der zusätzlichen Flächenversiegelung ganz zu schweigen. Windkrafttürme stehen bereits. „Es sind zwar kleinere Einheiten, die aktuell bis zu 1 MW an IT-Leistung bereitstellen können. Aber die Infrastruktur ist da und fast sofort verfügbar. Sie bietet einen echten Mehrwert für den RZ-Markt“, betont Fiete Dubberke. Eine vierstellige Anzahl der Türme eignet sich in Deutschland für die RZ-Aufrüstung, und klar, sie sind ein Blickfänger. Aber das Konzept, umweltfreundlichen Strom möglichst in der Nähe des Erzeugers zu nutzen, lässt sich mit ein wenig Flexibilität auch auf andere Weise realisieren. Das funktioniert, weil WestfalenWIND IT früh und massiv in die komplette Kette der Stromerzeugung und -weiterleitung investiert hat. So hält der Geschäftsführer auch Containerlösungen an einem Windrad oder einem der unternehmenseigenen Umspannwerke für potenziell geeignet, falls der Turm selbst keine Option ist. Allein im Kreis Paderborn stehen dafür Werke in einer Größenordnung von rund 450 Megawatt zur Verfügung. Bei der Sicherheit müssen hier wie dort keine Abstriche gemacht werden. Alle benötigten Vorkehrungen und Maßnahmen werden genauso wie in jedem anderen Rechenzentrum nachgewiesen. Zusätzlich wird eine TIER-3-Zertifizierung angestrebt.
SEEING IS BELIEVING
Ziel der WestfalenWIND IT ist es nun zum einen, neue Kunden für die innovativen Rechenzentren zu gewinnen. „Auf dem Papier mögen manche noch Zweifel haben. Aber wer eine Anlage einmal an Ort und Stelle gesehen hat, ist in der Regel schnell überzeugt“, weiß Fiete Dubberke zu berichten. Zum anderen soll das Konzept weiterentwickelt werden. Waren die bisherigen Arbeiten weitgehend eigenkapitalfinanziert, läuft seit 2023 ein dreijähriges Forschungsprojekt, das der Bund mit insgesamt rund 2,5 Millionen Euro fördert. In diesem Rahmen will ein Konsortium die Infrastruktur und Betriebsführung eines HPC-Clusters innerhalb mehrerer Windenergieanlagen entwickeln.
Im aktuellen Marktumfeld stehen die Ampeln für windCORES mittlerweile auf Grün. Die intelligente Nutzung vorhandener Infrastruktur mit klimaneutral erzeugter Energie bietet eine marktfähige und skalierbare Alternative. „Für neue Technik braucht es immer den richtigen Zeitpunkt“, ist Michael Nicolai überzeugt, „und der ist jetzt.“