Text Dr. Jörg Lantzsch und Hans-Robert Koch ––– Fotografie
Geschafft!“ Stephan Rabsch klebt die Plakette mit dem Logo der Underwriters Laboratories (UL) auf den Schaltschrank: „Das ist der allerletzte Schritt, bevor wir die Schaltanlage in den US-amerikanischen Markt liefern“, erklärt der Fertigungsleiter des Steuerungs- und Schaltanlagenbauers ATR Industrie-Elektronik. Die Plakette weist die Anlage als normkonform aus und gibt grünes Licht für eine problemlose Abnahme in den USA. „Das UL-Logo auf der fertigen Schaltanlage erleichtert die Abnahme vor Ort ungemein“, betont Rabsch.
Das fällt bei insgesamt 150 Metern Schaltschränken extrem ins Gewicht. Denn das ist die aktuelle Anlagengröße. Dazu kommen Hunderte Bediengehäuse und Klemmenkästen. Die Schaltanlage ist für eine Produktionsanlage für Faserplatten in den USA vorgesehen, die das Mutterunternehmen von ATR – die Siempelkamp-Gruppe – in Barnwell im US-Bundesstaat South Carolina errichtet. Die Anlage, die nach der Inbetriebnahme bis zu 280.000 Kubikmeter Faserplatten pro Jahr produzieren wird, ist der größte Auftrag in der Firmengeschichte der Siempelkamp-Gruppe. ATR liefert als Schaltanlagenbauer für alle Siempelkamp-Unternehmen die Schaltanlagen für die jeweiligen Anlagenteile. Und das Zeitkorsett ist eng. „Typisch für Aufträge aus den USA ist der sehr straffe Zeitplan“, sagt Geschäftsführer Timo Amels: „Von der Auftragserteilung bis zur Inbetriebnahme einer Anlage vergehen ein bis maximal eineinhalb Jahre.“ Da ist eine problemlose Endabnahme der Anlage durch UL ein wichtiger Baustein.
Für einen UL-konformen Anlagenbau ist Experten-Know-how gefordert. Denn die Normen und die Art, wie Anlagen in den USA abgenommen werden müssen, unterscheiden sich teilweise grundlegend von der Vorgehensweise in Europa. Im Gegensatz zu den Normen der International Electrotechnical Commission (IEC), die lediglich die Mindestsicherheitsanforderungen eines Gerätes oder Systems festlegen, sind UL-Normen für den US-amerikanischen Markt in vielen Fällen detaillierter. Anlagen müssen vor der Inbetriebnahme vor Ort von einem Inspektor, der sogenannten Authority Having Jurisdiction (AHJ), abgenommen und freigegeben werden. Dabei prüft und zertifiziert dieser verschiedenste Materialien, Komponenten und Endprodukte auf ihre Betriebssicherheit. Im Falle von UL liegt ein stärkerer Fokus auf dem Personen- und Brandschutz. Auch bei den technischen Details unterscheiden sich die einschlägigen IEC- und UL-Normen: Die Luft- und Kriechstrecken sind bei UL etwas größer und statt der IP-Schutzarten muss der NEMA-Type angegeben sein. Ein weiteres typisches Detail bei Schaltanlagen nach UL ist die Verriegelung der Schaltschränke. So muss sichergestellt sein, dass sich die Schaltschranktüren nicht öffnen lassen, wenn die Anlage unter Spannung steht.
Tempo durch interne UL-Abnahme
ATR nimmt am sogenannten Panelshop-Programm von UL teil. Dabei zertifiziert UL den Schaltanlagenbauer in regelmäßigen Abständen und stellt so sicher, dass im Unternehmen das Know-how zur normgerechten Ausführung von Schaltanlagen für den US-amerikanischen Markt vorhanden ist und umgesetzt wird. „Durch den engen Austausch mit UL sind wir auch garantiert stets auf dem aktuellen Stand bezüglich der Normenlage“, sagt Fertigungsleiter Rabsch. Die internen Werksnormen bei ATR entsprechen in weiten Teilen der Norm UL508A. Dies bedeutet für den Schaltanlagenbauer einen Wettbewerbsvorteil, wie Geschäftsführer Amels betont: „Wir dürfen unsere Anlagen intern nach UL abnehmen und mit dem entsprechenden Label versehen. Das spart uns enorm viel Zeit.“ Unternehmen, die nicht am Panelshop-Programm von UL teilnehmen, müssen Schaltanlagen extern zertifizieren lassen – verbunden mit entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand.
UL-listed-Komponenten
Neben dem Know-how, wie eine UL-konforme Anlage realisiert wird, ist vor allem wichtig, dass möglichst alle verwendeten Komponenten bereits UL-listed beziehungsweise -recognized sind. Das ist ein Grund dafür, dass Rittal einer der bevorzugten Lieferanten von ATR ist. So sind beispielsweise die Schaltschränke der Serie TS 8 sowie die Sammelschienensysteme UL-listed. Auch die Klimatisierungskomponenten sowie weitere Komponenten, etwa die neuen Schaltschrankleuchten, sind UL-listed und lassen sich damit problemlos einsetzen. Das Engineering und die Elektroplanung der Schaltanlagen übernimmt das jeweilige Siempelkamp-Unternehmen und stellt sie ATR zur Verfügung. „Wir sind praktisch ein qualifizierter Lohnfertiger“, erklärt Amels die Strategie des Schaltanlagenbauers: „Und so handhaben wir das auch bei den externen Auftraggebern – also Kunden außerhalb der Siempelkamp-Gruppe –, die inzwischen 40 Prozent unseres Umsatzes ausmachen.“ Die Elektroplanung geschieht praktisch ausschließlich in Eplan Electric P8 und wird ATR dann zur Verfügung gestellt. Soll die Schaltanlage der Norm UL508A entsprechen, überprüft ATR zuerst, ob die Planung auch entsprechend ausgeführt ist. Kunden, die keine Erfahrungen mit UL haben, werden entsprechend beraten und können dann die Planung anpassen, indem sie beispielsweise Komponenten verwenden, die UL-Listed sind.
Just-in-time-Lieferungen
Die Stärken von ATR liegen neben dem umfangreichen Know-how in der hohen Produktivität des Unternehmens. Würde man alle in einem Jahr gefertigten Schaltschränke aneinanderreihen, ergäbe sich eine Länge von mehr als 6,5 Kilometern. „Wir zeichnen uns im Wettbewerb durch unsere internationale Ausrichtung und die absolute Termintreue aus“, betont Amels. Wichtige Voraussetzung dafür ist aber auch die optimale Zusammenarbeit mit den Lieferanten. So sind insbesondere die Just-in-time-Lieferungen von Rittal unverzichtbar für eine reibungslose Fertigung. Zweimal pro Woche liefert ein großer Sattelzug Schaltschränke, Gehäuse und andere Komponenten. Ein eigenes Zwischenlager vor Ort sorgt für zusätzliche Flexibilität. „Auch durch die sehr gute Lieferfähigkeit von Rittal sind wir in der Lage, die Geschwindigkeit und die Termintreue, die wir unseren Kunden versprechen, auch einzuhalten“, ist Amels überzeugt.
Bei ATR arbeitet man bereits an der Zukunft des Schaltanlagenbaus. Im Mittelpunkt steht dabei die Digitalisierung. Die Durchgängigkeit der Datenhaltung ist eines der Ziele. „Die Daten über die Rittal Produkte, die auf der Website und im Eplan Data Portal zur Verfügung gestellt werden, sind präzise und vollständig“, sagt Rabsch: „Das macht uns die Arbeit in vielen Bereichen einfacher – von der Planung bis zur Dokumentation.“
Durchgängige Datenhaltung
Bereits in Planung ist ein automatisches Routing der Kabel auf Basis von Aufbauplänen, bei dem die Kabellängen automatisch ermittelt werden. Die Durchgängigkeit der Datenhaltung ist auch hier unabdingbar. Zukünftig will ATR bei immer mehr Prozessen entlang der Wertschöpfungskette ohne bedrucktes Papier auskommen. Für die Dokumentation ist das schon heute der Fall. Um auch in der Verdrahtung auf ein papierloses Verfahren umzustellen, ist der Einsatz von Tablets in Planung. „Ich möchte nicht mehr, dass die Mitarbeiter in Zukunft beim Verdrahten auf dem Papierschaltplan abhaken müssen“, erläutert Amels seine Zukunftsvision des Schaltanlagenbaus.