Text Bertram Kawlath ––– Fotografie
Seit jeher treiben Menschen Handel miteinander – über alle Grenzen hinweg. Je mehr Waren und Dienstleistungen gehandelt wurden, umso mehr konnte sich der Wohlstand rund um den Globus erhöhen. Technologischer Fortschritt wäre ohne den globalen Austausch von Wissen vielfach unmöglich oder nur in Ansätzen realisierbar gewesen.
Umso ernüchternder ist, wo wir heute stehen: Mehr Länder auf der Erde werden inzwischen wieder von Autokraten regiert als von demokratisch gewählten Regierungen. Immer mehr Handelshürden werden errichtet. Die Corona-Pandemie und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben uns schmerzlich vor Augen geführt, wie schnell globale Lieferketten reißen können. Und im „Oval Office“ hat erneut ein Mann Platz genommen, der das Wort „Zölle“ als besonders schön bezeichnet und Handel als einen „Deal“ sieht, bei dem es Gewinner – die USA – und Verlierer – auch Europa – geben muss.
Steht die Idee des globalen Freihandels damit vor dem Aus? Zum Glück nicht. Denn der Welthandel mit Gütern und Dienstleistungen wächst nach wie vor; um knapp 3 Prozent im vergangenen Jahr und damit ebenso stark wie das globale Bruttoinlandsprodukt. Auch 2025 wird ein Zuwachs von 3 Prozent erwartet. Rund drei Viertel dieses Handels wird unter WTO-Regeln abgewickelt, konstatiert der Chefvolkswirt der Welthandelsorganisation. Hinter der zunehmend protektionistischen Rhetorik vieler Staatslenker scheint doch weiterhin die pragmatische Erkenntnis zu dominieren, dass es internationale Handelsströme braucht, um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten.
Dennoch haben sich zwei Faktoren grundlegend geändert. Zum einen sind alle Versuche, multilaterale Abkommen zu schließen, mehr oder weniger begraben worden. Selbst das längst beschlossene Mercosur-Abkommen hängt noch immer in der Schwebe. Viele Regierungen suchen ihr Heil in bilateralen Abkommen, bei denen möglichst viel für die eigene Seite herausspringen soll. Solche Verträge sind besser als gar keine Handelsverständigung, aber sie erhöhen die Komplexität – und damit die Kosten.
Zum anderen versuchen immer mehr Staaten, Schutzmauern zu errichten. Eigene Industrien werden subventioniert, ausländische Investoren durch „Local-Content-Vorschriften“ gezwungen, vor Ort präsent zu sein. Zwar gibt es große Märkte, wie Indien, bei denen die Hoffnung besteht, dass sie sich nun stärker öffnen und in den globalen Handel integrieren. Aber insgesamt wird es den Exporteuren immer schwerer gemacht. Das ist gerade für den deutschen industriellen Mittelstand keine erfreuliche Aussicht.
Letztendlich wird der globale Handel in den kommenden Jahren wohl maßgeblich von den Beziehungen zwischen den USA und China bestimmt. Zwar machen ihre bilateralen Handelsströme laut WTO nur rund 3 Prozent des Welthandels aus. Aber die indirekten Effekte werden um ein Vielfaches größer sein, wenn beide einander mit Zöllen und Ausfuhrverboten überziehen und dabei auch ihre Partner unter Entscheidungsdruck setzen. Ein globaler Handel unter diesen Bedingungen würde für dauerhafte Verunsicherung sorgen und damit Wachstum zunichtemachen.
Der globale Handel wird nicht zum Erliegen kommen. Aber er könnte weiter an „Freiheit“ verlieren. Umso wichtiger ist es, dass Europa zusammenhält und den Binnenmarkt stärkt, statt ihn immer mehr zu zerreden. Nur als gefestigter Wirtschaftsblock kann die EU im internationalen Handel ein starker Akteur bleiben. Fällt Europa dagegen in die Zeit nationalstaatlicher Egoismen zurück, werden wir mehr und mehr zwischen den Machtambitionen der großen Wirtschaftsmächte sowie den kriegslüsternen Ambitionen diverser Autokraten zerrieben. Europa steht vor einer enormen Herausforderung: allen Protektionisten mit aller Kraft die Stirn zu bieten!
Ohne den Rückenwind des Freihandels werden wir nur dann unseren Wohlstand halten und ausbauen können, wenn wir unsere Innovationen beschleunigen, Verantwortung übernehmen und Prozesse vereinfachen. Nicht nur die Politik muss nun handeln, sondern wir alle sind gefordert.