Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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Schaltschrankplanung und -fertigung bei Siemens WKC
Praxis

Im Zentrum: Der digitale Zwilling

Man braucht keine Glaskugel, um einen Blick in den Steuerungs- und Schaltanlagenbau der (nahen) Zukunft zu werfen. Es gibt eine feste Adresse: In Chemnitz befindet sich das „Werk für Kombinationstechnik“ (WKC) der Siemens AG. Das WKC verbaut pro Jahr rund 21.000 Schaltschränke und ca. 29.000 Kleingehäuse – überwiegend in Losgröße eins – und gehört damit zu Europas Marktführern. Von der Aufbereitung der Kundendaten bis zur Auslieferung der Schaltschränke ist das Werk weitestgehend „durchdigitalisiert“. Hans-Peter Kasparick und Mirko Löffler, verantwortlich für die Digitalstrategie und das Manufacturing Engineering, geben Einblick in die Prozesse und Zusammenarbeit mit Rittal und Eplan.

Text Gerald Scheffels ––– Fotografie

Der Blick von der Empore in der Fertigung auf Hunderte von Schaltschränken, die gerade produziert werden, ist beeindruckend. Wie schaffen Sie hier die nötige Transparenz und Effizienz – in der Planung und in der Produktion?

Kasparick: Wir haben schon frühzeitig begonnen, vor rund zwanzig Jahren, spezifisches Technik- und Prozesswissen in unseren „digitalen Zwilling“ zu strukturieren. Dieser Ansatz ermöglicht uns heute, in der Zusammenarbeit mit Kunden, Lieferanten, Vertragspartnern und in der eigenen Wertschöpfung Doppelarbeit zu vermeiden sowie die Durchlaufzeit zu verkürzen. So generieren wir Kundennutzen und sichern langfristig unsere Wettbewerbsfähigkeit. Das ist der Kern unserer Strategie.

Schauen wir erst einmal auf die internen Prozesse. Wie entwickelt sich der digitale Zwilling eines Projektes?

Kasparick: Zunächst werden die technischen Informationen unserer Kunden oder unseres eigenen Design Engineerings in digitale Werte überführt und strukturiert in Datenbanken abgelegt. So entsteht ein digitaler Zwilling nach standardisierten Vorgaben, der während des Projektdurchlaufs aktuell gehalten wird. Das heißt: Wir arbeiten mit einem durchgängigen Datenmodell – beginnend vom Design Engineering über das Auftragszentrum, Manufacturing Engineering, Montage und Prüfung bis zum Versand. Alle Vorgaben für die Produktion – ob automatisiert oder manuell – werden aus diesem Modell ausgeleitet.

Das heißt dann auch: Das digitale Datenmodell entspricht immer dem realen Schaltschrank.

Kasparick: Genau. Aktuelle Änderungen können direkt übernommen werden.

Das Datenmodell muss ja so universell sein, dass es auf unterschiedliche Weise bzw. in unterschiedlichen Systemen verarbeitet werden kannWie gewährleisten Sie das?

Löffler: Wir haben ein eigenes Datenmodell entwickelt, welches auf Basis von Eplan Pro Panel Daten weitere Informationen aufnehmen, weiterverarbeiten und angepasst auf unsere Produktion ausgeben kann. Als systemübergreifende Standards treiben wir den Identification Link, die Verwaltungsschale und ECLASS Advanced als zugrunde liegende Semantik voran. Der Digitale Produktpass ist ein erstes Ergebnis. Mit ihm können Informationen über das Produkt und seinen Lebenszyklus eindeutig zugeordnet und weiterverarbeitet werden. Das ermöglicht Unternehmen zum Beispiel ihren CO2-Fußabdruck zu dokumentieren, eine Anforderung der kommenden EU-Taxonomie. Darin liegt ein wichtiger Kundennutzen der Digitalisierung.

Wenn wir einen Schritt weiter gehen, in die Produktion: Wie sind Ihre Fertigungsanlagen an den digitalen Zwilling angebunden?

Löffler: Durch unser Datenmodell sind wir an den Schnittstellen flexibel und können Arbeitsplätze je nach Ausstattung mit Maschinen- oder Roboterdaten bzw. mit menschenlesbaren Informationen ausstatten. Die Produktionsdaten zum Beispiel für die Bohrund Fräszentren, die Laserbearbeitung oder die Kabelkonfektionierung generieren sich automatisch im Moment der Verwendung in der Fertigung. Hier sind also die digitale und die reale Welt direkt verbunden.

Wie nimmt Ihr Kunde die Digitalisierung in Ihrem Hause wahr – welche Vorteile hat er?

Löffler: Er profitiert von schnellen Durchlaufzeiten, hoher Qualität und marktgerechten Preisen, erhält noch Mehrwerte im Engineering und in der Produktion. Mit unserem „funktionalen Engineering“ sind wir in der Lage, modulare Stromlaufpläne normgerecht zu generieren. Diese Unterstützung nutzen unsere Kunden, gerade weil viele Anlagenbauer nur über geringe Kapazität in der Elektroplanung verfügen. Erhalten wir die Engineering-Daten digital von unseren Kunden, sind wir in der Lage, diese ohne Medienbrüche in unseren digitalen Zwilling zu überführen. Während des Werksdurchlaufes wird dieser digitale Zwilling dann weiter mit Produktionsdaten, PCF-Werten, Exportdaten etc. vervollständigt und mit dem realen Produkt nach Bedarf digital an den Kunden geliefert. Damit lässt sich sämtliche Verschwendung an den Schnittstellen in den Kunden-Lieferanten-Beziehungen eliminieren.

Das Siemens WKC in Chemnitz verbaut pro Jahr rund 21.000 Schaltschränke und ca. 29.000 Kleingehäuse – fast alle in Losgröße eins.


Theoretisch können Ihre Kunden – und auch die Lieferanten – ja ebenfalls Nutzen aus dem digitalen Zwilling ziehen, den Sie kundenspezifisch erstellen. Wird dieses Angebot genutzt?

Kasparick: Bei unseren Lieferanten gibt es gute Ansätze im Bereitstellen von CAx-Daten. Unsere Kunden nutzen das Angebot noch verhalten. Wir sind aber zuversichtlich, dass sich das ändern wird – spätestens mit der Entwicklung neuer digitaler Geschäftsmodelle für eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit.

Was die Nutzung des digitalen Zwillings und die Automatisierung des Schaltschrankbaus betrifft, sind Sie vielen Wettbewerbern weit voraus. Mit wem tauschen Sie sich aus, wo finden Sie Partner, um weitere Automatisierungs- und Digitalisierungsschritte zu planen?

Kasparick: Wir sind heute mit unterschiedlichen Lösungsanbietern im Gespräch. Rittal und Eplan sind für uns wesentliche Partner, da sie Lösungen für den Schaltanlagenbau intensiv vorantreiben, auf der Software-Seite und bei den Schaltschrankprodukten sowie bei Automatisierungslösungen und Maschinen. Deshalb sind sie für uns Vorzugslieferanten und Innovationspartner. Wir nehmen Ideen auf, die sie zur Marktreife entwickeln. Wir lernen voneinander, ergänzen uns und tauschen uns aus.

Löffler: Natürlich diskutieren wir auch intensiv und regelmäßig mit unseren Kunden aus dem Maschinen und Anlagenbau. Hier geben und erhalten wir Impulse, die beide Seiten weiterbringen.

Wenn Sie uns einen Blick in die nahe Zukunft erlauben: An welchen Projekten arbeiten Sie? Wo sehen Sie Handlungsfelder für sich und Ihre Partner?

Kasparick: Der Fachkräftemangel ist evident – das spüren wir deutlich. Neben dem frühzeitigen Werben für die Elektrotechnik in regionalen Schulen und durch Ausbildungskooperationen benötigen wir auch robuste Automatisierungslösungen, um die internen Prozesse weiter zu optimieren. Ein Beispiel wäre das automatisierte Verdrahten von biegeschlaffen Drähten.

Löffler: Auf der Datenebene heißt das: Der digitale Zwilling muss unabhängig davon sein, mit welchem System er erstellt oder weiterverarbeitet wurde. Wir müssen den Datenaustausch standardisieren, damit jedes Engineering-Tool seinen Beitrag zur effizienten Datenentstehung leisten kann und dennoch die verschiedenen Fabriken mit ihren sehr unterschiedlichen Ausstattungen in der Lage sind, die entstandenen Daten anzuwenden.

Kasparick: Ein wesentlicher Faktor: Klimaneutrale Energiewirtschaft und CO2-reduzierte Mobilität eröffnen neue Kundengruppen. Überall muss Energie verteilt, Sensorik und Aktorik verbunden werden und das gelingt am besten an einer zentralen Stelle, dem Schaltschrank. Dieses Potenzial für die nächsten Jahre können wir nur mit einer effizienten unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit erschließen. Dabei gilt es, gemeinsam zu standardisieren und den digitalen Informationsaustausch zu entwickeln. Hier müssen und wollen wir Überzeugungsarbeit leisten – als WKC, aber auch im ZVEI, in anderen Gremien und mit unseren mehr als 200 aktiven Kunden.

Vielen Dank für das Gespräch!

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