Text Charlotte Erdmann ––– Fotografie
Strom und Gas sind in unseren Haushalten nicht einfach da. Sie müssen geleitet, verteilt und angepasst werden, um anzukommen, wo und wann sie gebraucht werden. Dafür betreiben Energieversorger Umspannwerke, Regel- und Ortsnetzstationen – mal klein wie ein Schuhkarton, mal groß wie ein Haus. Sie stehen auf freiem Feld oder mitten im Wohngebiet. Viele werden bis heute analog gesteuert, per Kupferleitung angebunden an die Netzleitstelle des Energieversorgers.
Steuerbar = Krisensicher
Das ist nicht unbedingt krisensicher. In Spanien sorgte im Frühjahr 2025 ein einziges ausgefallenes Umspannwerk für einen landesweiten Stromausfall – mit verheerenden Folgen, wie man in den Medien mitverfolgen konnte. Neben derartigen Risiken ist auch die Lastenverteilung wichtig – und seit Anfang 2024 in Deutschland sogar gesetzlich vorgeschrieben.
Doch das funktioniert nur digital – und jede Station benötigt dazu ein autarkes, intelligentes Steuersystem. Und gemäß deutschem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auch eines, das sich bis zu 72 Stunden weiter betreiben lässt – autonom vom Stromnetz. So können deutsche Netzbetreiber schneller reagieren und Strom und Gas im Notfall aus unterschiedlichen Quellen gezielt verteilen. Und das bei jeder einzelnen Station der Energieversorger: Umspannwerke, Gasdruckregelanlagen, Trafohäuschen.
Neue Technik in alten Anlagen
Die Herausforderung dabei: die Umsetzung. „Uns wurde die wahre Komplexität der Digitalisierung erst bewusst, als wir uns konkret mit jedem unserer Standorte befassten“, erklärt Simon Bartoschewski, Teamleiter Kommunikations- und Sicherheitssysteme bei der ELE Verteilnetz GmbH (EVNG), der Netzbetreiber für Bottrop, Gelsenkirchen und Gladbeck. „Für ein modernes Kommunikations- und Steuerungssystem unserer insgesamt 21 Standorte – elf Umspannwerke und zehn Gasdruckregelanlagen – mussten wir in alte Industrieanlagen moderne Technik einbauen“, so Simon Bartoschewski.
Anders ausgedrückt: Die oft jahrzehntealten Mittelspannungsstationen der EVNG mussten mit digitalen Modulen und einer Akkukapazität von 72 Stunden Betriebsdauer ausgestattet werden. Kein leichtes Unterfangen. Hinzu kam: „Wir wollten eine ganzheitliche Lösung aus einer Hand“, ergänzt der Experte.
Gemeinsam zur Lösung
Gleich mehrere Standorte boten zu wenig Platz für 19“-Schränke. Kleinere Router waren keine Option: „Sie lösten nicht den enormen Platzbedarf für die Batterien der USV, die 72 Stunden durchhalten muss“, erläutert Simon Bartoschewski das Dilemma.
Erst nach einer Vor-Ort-Begehung durch Bechtle und Rittal war klar: Nicht inner-, sondern außerhalb der Stationen lag die Lösung. Statt Kupferkabel war ein Software-Defined Wide Area Network (SD-WAN) die bessere Lösung für die digitale Steuerung. „Dazu brauchte es kein externes Kraftwerk oder einen Dieselgenerator, sondern eine schlau zusammengestellte USV-Unit“, erklärt Joachim Schwan, Gruppenleiter Rittal Partnermanagement in der Abteilung Key Account Management Deutschland, die neue Planung. Stefan Hauser, Systemberater IT-Infrastruktur bei Rittal Deutschland, ergänzt: „Außerdem sind unsere anreihbaren, skalierbaren und klimatisierten Outdoor-Schränke ideal für den Einsatz außerhalb der Stationen. Sie schützen die empfindliche ITTechnik vor Wind und Wetter sowie vor Vandalismus.“
So entstand eine aus Standards erstellte, flexible Lösung – in Teamleistung: „In enger Zusammenarbeit mit Rittal, Wöhrle und Bechtle sowie den Komponenten von Cisco erhielt die EVNG ein zufriedenstellendes Gesamtkonzept“, berichtet Ronny Jacob, Global Account Manager beim Bechtle IT-Systemhaus Rottenburg, und ergänzt: „Einer alleine hätte das nie lösen können.“
Alles Standard: USV und Co.
Die einfache wie wirkungsvolle Idee: sechs Varianten für alle 21 Stationen. „Zusammen mit den technischen Möglichkeiten der Industrial Router von Cisco, die sowohl sehr niedrige als auch sehr hohe Temperaturen vertragen, wurden alle unsere wesentlichen Probleme gelöst“, ist Simon Bartoschewski begeistert. Die Stromversorgung? War enorm komplex. Rittal berechnete sie gemeinsam mit seinem USV-Partner für jeden Standort individuell.
Grundlage der Anlagen sind nun Standard-USVs. „Kombiniert haben wir sie mit unserem Rittal Baukastensystem – je nach Bedarf für Indoor oder Outdoor – das sich schnell zu Individuallösungen konfigurieren lässt“, so Joachim Schwan. Am Ende gehörte auch die Logistik zur Gesamtlösung: Rittal fertigte alle benötigten IT-Racklösungen nahezu schlüsselfertig und lieferte sie komplett konfiguriert ins Zentrallager der EVNG. Von dort aus wurden sie an die einzelnen Stationen ausgeliefert. Das sparte EVNG viel Zeit vor Ort.
Vernetzen? Bitte intelligent!
So aufgestellt vernetzen die All-in-one ITRacks die Stationen über eine moderne SD-WAN-Infrastruktur: „Damit lassen sich Netzwerksicherheit, Bandbreiten und Priorisierungen zentral steuern. Die EVNG hat also die volle Kontrolle“, erklärt Ronny Jacob. Jede einzelne Station ist direkt mit der Leitstelle verbunden. Fällt eine Leitung aus, wird automatisch umgeschaltet. Die Technologie dahinter: Cisco-Router und deren Rugged-Versionen in kleineren Anlagen. Das Ergebnis: hohe Ausfallsicherheit bei gleichzeitig einfacher Wartung und Bedienung. „Das Security-Monitoring durch das CMC-III-Überwachungssystem von Rittal liefert uns Daten wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit“, erläutert Simon Bartoschewski begeistert, „das gibt uns Sicherheit – nicht nur bei Störungen, sondern auch im Alltag.“
Ein Baukasten für Versorger
Bei den Outdoor-Schränken zeigen Vandalismus-Schutz-Sensoren Erschütterungen an. Zudem sind die Batteriezustände jederzeit abrufbar. „Das funktioniert dank passender, von uns speziell ausgesuchter Com-Server sogar für alle Anbindungsformen, egal ob Glasfaser, Kupfer, das Mobilfunknetz oder eine Kombination aus den Komponenten“, ergänzt Ronny Jacob. Und macht damit den Einsatz der Lösung noch flexibler.
„Dieses 72-Stunden-Konzept mit sechs Varianten als Baukastensystem ist für uns als kleiner, lokaler Energieversorger eine ziemlich große Sache. Wir besitzen damit ein echtes Alleinstellungsmerkmal, weil wir etwas hinbekommen haben, woran sich andere derzeit noch versuchen“, freut sich Simon Bartoschewski über das Ergebnis der Zusammenarbeit. Jede Station enthält alles Notwendige und kann an vielfältige Situationen angepasst werden. Der Teamleiter Kommunikations- und Sicherheitssysteme der EVNG ist überzeugt: „Es ist eine Blaupause für andere Energieversorger, die wir auch gerne teilen wollen.“
Eine fertige Notfall-Lösung
Rittal lieferte bei diesem Projekt nicht nur die Hardware, sondern erschuf gemeinsam mit Bechtle ein durchdachtes Gesamtsystem. Das ist in der Lage, die erforderliche Autonomiezeit durch ein perfektes Notfallkonzept zu erfüllen. „Die Zusammenarbeit geschah immer auf Augenhöhe. Wir haben nicht einfach Produkte bekommen, sondern eine fertige Lösung“, so Simon Bartoschewski. Heraus kam ein Kommunikationsnetz für Stationen von Energieversorgern, das steuerbar, autark und standardisiert ist. Und eines, das bei Stromausfall bis zu 72 Stunden durchhält – sicher, intelligent und bereit für alle Unwägbarkeiten der Zukunft.