Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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TH Lübeck: Ladeinfrastruktur zu Ende gedacht
Innovation

„Wir forschen auf Systemebene“

Die Energiewende ist dezentral und findet in Verteilnetzen statt. Wie sich Ladeinfrastrukturen darin integrieren lassen, untersucht das „Fachgebiet für Elektromobilität und Leistungselektronik“ der TH Lübeck. Das Ergebnis: eine Schnellladesäule mit bis zu 1 MW Ladeleistung. Das ist anwendungsorientierte Forschung auf europaweit führendem Niveau. Sie gelingt durch Partnerschaften mit Industrieunternehmen wie Eplan. Wir sprechen darüber mit Professor Roland Tiedemann und Clemens Kerssen.

Text Stephan Kuhn ––– Fotografie

Herr Professor Tiedemann, die Energiewende schreitet schneller voran als gedacht, der Energiemix verändert sich. Auch Unternehmen müssen sich darauf einstellen. Wo stehen wir heute?

Roland Tiedemann: Bei der Energiewende haben wir ein generelles Problem: die Speicherung der Energie. Diese Kernfrage wurde bislang zu wenig berücksichtigt. Das Land ist quasi zugepflastert mit Windkraft- und Solaranlagen und wir können zu wenig damit anfangen. Hier muss noch viel passieren. Wir im Forschungsprojekt sehen die Energiewende deshalb immer parallel mit dem Thema Elektromobilität.

Warum?

Tiedemann: Elektromobilität ist in zweifacher Hinsicht wichtig: einmal als Verbraucher, zum anderen als Speicher. Wir können im Moment für eine flächendeckende Elektromobilität gar nicht die elektrische Energie zur Verfügung stellen, unsere Stromnetze stellen derzeit nicht die nötige Kapazität bereit. Der andere wichtige Aspekt: Die Elektrofahrzeuge könnten wiederum als Speicher fungieren, aber da sind wir noch lange nicht, wo wir eigentlich hinmüssten.

Viel hängt also an der Speichertechnologie ...

Clemens Kerssen: Definitiv. Darauf haben wir uns im Fachgebiet für Elektromobilität und Leistungselektronik ausgerichtet. Unsere Meinung: Wenn wir Elektromobilität betrachten, dann blicken wir auch immer auf die Speichertechnologie. Früher hatten wir eine zentrale Energieversorgung, jetzt eine zunehmend dezentrale – bspw. Windkraftanlagen, Solar, Biogas u.a. – und dezentrale Verbraucher. Das Zusammenspiel von Elektromobilität, Ladetechnologie und dezentraler Energieversorgung und -speicherung ist also eine Kernfrage der Energiewende.

Angewandte Forschung: Der Prototyp der Schnellladesäule vereint von der Softwareprogrammierung bis zur Platinenfertigung Know-how des Fachbereichs.

Wer genau ist denn noch nicht weit genug?

Kerssen: Das würde ich mal so zusammenfassen: alle. Jeder macht irgendwo etwas, aber es fehlt die komplette Draufsicht. Wir haben Problemstellungen in der Technik, in der Normung, in der Gesetzgebung, in der Verfügbarkeit. Es gibt zahlreiche Fragen, die nicht umfassend geklärt sind. Zudem backen viele Unternehmen ihre eigenen Brötchen, um eigene, herstellergebundene Lösungen auf den Markt zu bringen. Aus unserer Perspektive ist das kontraproduktiv und für eine globale Energie- und Mobilitätswende nicht zielführend. Im Zuge des Ukraine-Kriegs haben wir die Schwachstellen zum ersten Mal wirklich an der eigenen Haut erlebt. Eigentlich hätte man im Zuge der Energiewende die Speicher gleich berücksichtigen müssen. Schließlich ist der Wechsel von kontinuierlichen Erzeugern wie Kraftwerken hin zu sporadischen wie Windkraft- und Solaranlagen bekannt. Wir müssen eine Lastverteilung schaffen, und dafür braucht man Speicher.

Welcher Frage gehen Sie in Ihrem Forschungsprojekt konkret nach?

Kerssen: Uns hat interessiert, wie man Hochleistungsschnellladetechnik für Elektrofahrzeuge baut, denn nach wie vor ist ein entscheidender Vorteil von Verbrennern das schnelle Auftanken. Uns wurde dabei auch klar, dass wir für hohe Ladeleistungen bei unserem Stromnetz ebenfalls Zwischenspeicher brauchen. Sonst laden alle abends ihre Autos und das Stromnetz ist überlastet. Daraus ist unser Forschungsprojekt Power 400 entstanden, wo wir Hochleistungsschnellladesysteme mit integrierter Pufferspeicherung entwickelt haben.

Und wie sieht Ihre aktuelle Lösung aus?

Tiedemann: Wir haben den Prototypen einer DC-Schnellladesäule produziert und können an einem Ladepunkt theoretisch mit einem Megawatt laden. Damit sind wir auf europäischem Niveau führend. Zum Vergleich: In Kiel werden mit einem Megawatt U-Boote geladen. Unsere AC-Technologie verstehen wir modular, wir haben ein Master-Slave-System, bei dem man mit einem Master unterschiedlich viele Slave-Einheiten steuern und einfach nachrüsten kann. Das heißt, wir müssen nicht gleich eine komplette Standardplanung umsetzen, sondern können erst mal beobachten, wie beispielsweise der Ladepark frequentiert wird. Unsere Systeme sind dabei gleich ausgelegt für Pufferspeicher. Hier setzen wir aktuell batterieelektrische Speicher ein, aber wir arbeiten auch an einer Kombination mit Brennstoffzellen-Technologie.

Wie viel von Ihrer Arbeit bzw. der TH Lübeck steckt in dieser Entwicklung?

Kerssen: Alles und noch viel mehr (lacht). Wir sagen unseren Studierenden: Hier ist alles das drin, was Sie im Studium der Elektrotechnik und im Studium der Informatik lernen. Wir bauen die Hardware, wir programmieren die Software, wir übernehmen die Platinenfertigung, wenn es keine Standardplatinen gibt. Unser System verfügt über eine Schnittstelle zum Batterie-Managementsystem, hat ein Energie-Managementsystem, ist vorbereitet für die Schnittstellen zum Netz und für die Kommunikation zur Batterie bzw. Brennstoffzelle. Wir haben alles vom Bezahlsystem bis hin zum Netzanschluss integriert und könnten sogar Bidirektionalität umsetzen – von unserer Seite aus können wir loslegen.

Auch ein Bezahlmodell zur Ladesäule wurde „mitgedacht“ und integriert.

Am Ende des Projekts steht also eine Ladesäule mit Ihrem Label?

Tiedemann: Nicht unbedingt. Wichtig ist, dass wir möglichst orientierungsoffen ein Produkt für die bestehende Herausforderung haben. Lassen Sie uns das erst mal herausbringen und schauen, wie das Feld reagiert und wie es angenommen wird. Manche Energiekonzerne wollen flächendeckend Ladeinfrastruktur bereitstellen und die Fundamente sind quasi schon gegossen, aber Standortanalysen wurden nicht gemacht. Hier klafft eine Lücke.

Wer profitiert von Ihrem Wissensschatz?

Tiedemann: Wir befinden uns im Prototypenstatus und müssen nun Industriepartner finden, um das Produkt auf den Markt zu bringen. Mit den Erfahrungen daraus könnten wir wieder Fragestellungen optimieren und einen Entwicklungskreislauf schaffen von der Forschung über die Produktion zum Markt. Der Bereich der dezentralen Energieversorgung und der Ladetechnologie ist ein Riesenmarkt.

Bei der technischen Umsetzung haben Sie sich Unterstützung aus der Industrie geholt. Warum?

Kerssen: Wir arbeiten nicht im stillen Kämmerlein, sondern wollen eine technisch realisierbare, skalierbare Lösung entwickeln. Das ist die Brücke zu den Unternehmen Eplan und Rittal. Unseren Prototypen konnten wir professionell mit standardisierten Komponenten aufbauen: Der Ladepunkt, das Bezahlsystem, die Energieverteilung und natürlich auch die NSHV sind in Gehäusesystemen und Komponenten von Rittal verbaut, und in den Softwarelösungen Eplan Electric P8 beziehungsweise Eplan Pro Panel konstruktiv aufgebaut. Zudem sind viele Komponenten, die für Ladeinfrastruktur eingesetzt werden, bereits im Eplan Data Portal als Datensatz verfügbar. Wir können quasi Elektromobilität zu mehr als 80 Prozent mit Standardlösungen von Eplan und Rittal abbilden.

Tiedemann: Diese Professionalisierung hilft auch unserer Forschung. Mit Eplan kann ich als Professor den Studierenden auch unsere Hardware viel besser vermitteln, damit sie etwa lernen, wie ein Ladesystem oder ein Elektromotor aufgebaut ist. Das ist ein großer Schritt nach vorn.

Mit Software von Eplan (Electric P8, Pro Panel) wurde die Lösung konstruktiv geplant und in Rittal Gehäusesystemen verbaut.

Was ist nun das Neue an Ihrem Ansatz?

Tiedemann: Uns zeichnen einige Hauptschwerpunkte aus. Erstens versuchen wir, Forschung auf Systemebene ganzheitlich zu praktizieren. Im konkreten Fall also von der Energieerzeugung, über Wandlung, Transport, Speicherung, hin zum Verbrauch. Daraus resultierend ist uns ein großes Netzwerk aus Industrie, Partnern und Forschung wichtig. Wir wollen nicht irgendwas für die Schublade entwickeln, sondern reale Probleme lösen, in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft und unserem Partnernetzwerk. Sind die nötigen Komponenten nicht vorhanden, unterstützen uns unsere Partner aus der Grundlagenforschung.

Kerssen: Uns zeichnet auch aus, dass wir im Fachbereich dynamisch und alle auf Augenhöhe arbeiten: So setzt sich der beste Gedanke durch und nicht Rang oder Name. Es gibt viele, die erzählen, was man machen könnte, aber wir machen und können sagen: „Hier steht die Lösung.“

Vielen Dank für das Interview!

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