Text Sarah Benscheidt ––– Fotografie
Alles ist voll von diesem braunen Staub. Der lehmige Boden schmiert ihn auf nackte Kinderfüße, Hundefell, Wasserkanister, Wäsche, Kochtöpfe, auf die behelfsmäßigen Hütten. An den Ausläufern der Millionenstadt Bangalore hat Corona ein ungewöhnliches Camp entstehen lassen. Knapp 70 bis 80 Familien haben hier zusammengezimmert, was sie im Abfall der Großstadt fanden. Den Landlosen, Menschen, die in Indien als heimat- und kastenlose Nomaden ihr Leben durch Lohnarbeit finanzierten, hat die Pandemie ihre Lebensweise gestohlen.
EINNAHMEQUELLEN WEGGEBROCHEN
Ein Kunststück für ein paar Rupien. So war es früher. Da zahlten die Leute noch ein paar Groschen, wenn eines der heiligen Hausrinder bunt geschmückt einen Knicks vor ihrem Kastenwagen machte. Aber das ist seit Corona vorbei. Zwar ist die Kuh in Indien immer noch heilig, Kapital für ein besseres Leben ist diese Art der Schaustellerei, mit der sich die Landlosen gerade so über Wasser hielten, seit der Pandemie aber kaum noch. Eine Einnahmequelle, die das Virus hat versiegen lassen und die sich nur schwer renaturieren lässt. Menschen wie die Landlosen zwingt das in (noch mehr) Armut, Slums und Perspektivlosigkeit.
Und sie sind nicht die Einzigen. Wie überall auf der Welt treibt Corona vor allem die Menschen in existenzielle Nöte, die schon zuvor an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Millionen weitere Menschen in Armut haben in Indien ihre überlebenswichtigen Arbeitsplätze verloren, besonders Menschen aus den untersten Kasten, wie die Dalit, sind betroffen.
RAUS AUS DEM TEUFELSKREIS
Einmal im Kreislauf der Armut gefangen, lässt sich durch eigene Kraft schwer daraus ausbrechen. Deshalb greift die Debora Foundation unter die Arme. Schnell, unbürokratisch, nachhaltig. 2018 in Bangalore gegründet, verfolgt die Stiftung das übergeordnete Ziel, durch den Bau eines Schul- und Ausbildungszentrums für die Kinder der Dalit langfristige Hilfsstrukturen anzulegen. Die starken Nachwehen der Corona-Krise verlangen allerdings auch weiterhin einen Fokus auf der Nothilfe, die bereits seit 2020 die Nöte in den Blick nimmt, die die Pandemie verschärft oder verursacht hat. In Zusammenarbeit mit ihrem Partner im Land, der International Justice Mission e.V., einer international tätigen Hilfsorganisation, hat die Debora Foundation zu Beginn der Pandemie rund 5.000 Menschen mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln versorgt, außerdem eine Nähschule für junge Mädchen etabliert. Die Basis für einen „kleinen Return on Investment“, wie Dietmar Roller, Entwicklungsexperte und Vorstandsvorsitzender bei IJM, den Gedanken hinter dem Projekt erklärt. Um auch Frauen eine Erwerbsmöglichkeit zu geben, erhielten bislang 150 besonders bedürftige junge Frauen Nähmaschinen. Damit können sie beispielsweise Alltagsmasken oder Kleidungsstücke nähen und verkaufen.
SCHUTZ VOR OBDACHLOSIGKEIT UND NATURGEWALTEN
Jetzt, 2022, wo das Corona-Nachbeben weiterhin Lebensgrundlagen zertrümmert und zusätzlich die Monsunzeit die Gefahr der Obdachlosigkeit dramatisch verschärft, weitet die Debora Foundation ihre Nothilfe aus. Knapp 500 Menschen ohne festen Wohnsitz, wie etwa die Landlosen, versorgt die Stiftung mit festen Zeltplanen, die – großflächig über selbst gebauten Behausungen und Hütten angebracht – Schutz vor Sturm, Feuchtigkeit und damit Krankheit bieten.
In der daraus entstandenen kleinen Zeltstadt, darüber freuen sich Dietmar Roller und Rainer Reissner, Geschäftsführer Rittal Foundation, bei ihrem Besuch im Camp vor Ort besonders, trägt die Hilfe der Debora Foundation nach nunmehr zwei Jahren sichtbare Früchte. Menschen haben ein Dach über dem Kopf, leben in Sicherheit, es wird für eine Lebensgrundlage gesorgt. Und das Beste: Die zarten Pflanzen der Hoffnung stehen auf nachhaltigem Boden. Denn sie beginnen langsam auch aus eigener Kraft zu wachsen.
Charu (Name v. d. Red. geändert), ein 15 Jahre junges Mädchen aus der Community der Landlosen, das das durch die Debora Foundation aufgetane Bildungsangebot in einer der Frauenselbsthilfegruppen nutzt, gibt ihr neu erworbenes Wissen im Camp an andere Kinder weiter. Aus Eigeninitiative. „Es findet richtiger Nachhilfeunterricht statt“, zeigt sich Dietmar Roller beeindruckt ob des doppelten Dominoeffekts. Zwar sei in Indien eine einfache Schulbildung vordergründig vorhanden, Kinder aus armen Verhältnissen, wie etwa der Dalit-Kaste, verlören beim (ausschließlichen) Frontalunterricht aber oft den Anschluss „und damit die Chance auf eine höhere Schulbildung und eine bessere Zukunft“.
Charus Entwicklung zeigt, wie es raus aus dem Teufelskreis gehen, wie fruchtbar und wirksam das Engagement der Debora Foundation für jeden Einzelnen sein kann. Denn wenn Charu die Dalit-Kinder jetzt im Schutz der Zelte unterrichtet, steht sie dort auch als Symbol einer besonderen Symbiose: der Hilfe zur Selbsthilfe. Für ein Leben in Freiheit und Sicherheit.