Text Alexandra Pfeifer ––– Fotografie
Sie sitzen zu dritt mit einer warmen Käsebrezel an dem langen Tisch in der Schul-Cafeteria. Lea und Clara kichern. Alles ist wie immer – fast. Denn ihre Freundin Fiona ist nicht da. Sie ist seit Längerem im Krankenhaus. Und trotzdem: Sie ist „mittendrin statt nicht dabei“.
Der Schulgong kündigt das Ende der Pause an. Lea nimmt „Fiona“ behutsam unter den Arm und eilt zurück ins Klassenzimmer. Dritte Stunde, Biologie. „Das ist Fionas Lieblingsfach“, erzählen die Freundinnen. Aber die sieht heute irgendwie nachdenklich aus. Ihre leuchtenden Augen sind nur kleine, helle Pixelpunkte. Und der Kopf blinkt blau auf. „Das heißt, dass Fiona gerade nicht angesprochen werden möchte“, erklärt Clara. „Wahrscheinlich geht es ihr nicht so gut.“
EIGENTLICH FAST WIE IMMER
Die 15-Jährige steckt nämlich mitten in der Therapie. Nachdem die Ärzte vor zwei Jahren einen Knochentumor im linken Oberarm entdeckt hatten, folgten kräftezehrende Monate. In der Schule ging der Unterricht ohne sie weiter, noch viel schlimmer war aber die soziale Isolation. Kein Kakao in der Cafeteria, kein Käsebrötchen, keine gemeinsame Pausenzeit. Eigentlich ist Fiona immer auf Achse. Sie liebt Karneval, geht gerne zum Gardetanz. Eigentlich. Die Welt auf Stillstand. Ihre Mutter Andrea konnte die fehlenden Sozialkontakte alleine nicht abfangen. „Ich stehe Fiona immer mit Rat und Tat zur Seite“, sagt sie. „Aber ich bin immer noch ihre Mama. Ich kann ihre Freundinnen nicht ersetzen.“
Dann endlich, 18 Chemo-Einheiten später, hatte Fiona die Hoffnung, den Krebs besiegt zu haben. Doch er kam zurück. Alles zurück auf Anfang. Wie würde Fiona die Isolation dieses Mal verkraften? Wie soll sie die schulischen Defizite aufholen? Aber dieses Mal sollte alles anders werden – durch eine Spende der Rittal Foundation.
Kurz nach Fionas zweiter Diagnose hatte die gemeinnützige Stiftung der Friedhelm Loh Group zwei sogenannte Telepräsenz-Avatare an die Kinderkrebsstation Peiper in der Uniklinik Gießen/Marburg übergeben, auf der die 15-Jährige behandelt wird. Weil Fionas Zustand weitestgehend stabil ist, geht bereits seit Anfang des Jahres einer der gespendeten Avatare stellvertretend für sie zur Schule. Viel Vorarbeit brauchte es dafür nicht, nur ein bisschen Papier sowie eine stabile Internetverbindung auf beiden Seiten. Die Lehrer und Klassenkameraden gewöhnten sich schnell an ihre „neue“ Mitschülerin. Und jetzt ist es ganz normal, dass da ein 30 Zentimeter großer Roboter auf Fionas Platz steht.
EIN STÜCK NORMALITÄT IN AUSNAHMESITUATION
„Nachts wird der Avatar im Sekretariat geladen und vor der Schule holt ihn eine von uns dort ab“, erzählen Clara und Lea. So kann sich Fiona jeden Morgen über einen Video-Livestream direkt ins Klassenzimmer schalten, per Blinklicht melden, Fragen stellen und sogar mit ihren Sitznachbarn flüstern – oder nur zuhören, so wie heute. Dann schaltet sie sich einfach kurz auf Blau. „Es gibt Tage, an denen Fiona nur passiv am Unterricht teilnimmt. Aber das ist überhaupt kein Problem“, sagt ihre Lehrerin Lisa Stoy. „Sie kann ja trotzdem zuhören und bekommt den Schulstoff vermittelt.“ Insbesondere in den Neben fächern sei das viel wert, da der Hausunterricht, den Fiona zwischen den Therapieblöcken zu Hause bekommt, nur Inhalte aus den Hauptfächern abdeckt. Ohne den Avatar würde also jede Menge Schulstoff auf der Strecke bleiben – und Fiona müsste vielleicht sogar die Klasse wiederholen.
DEN ANSCHLUSS NICHT VERLIEREN
Es geht aber gar nicht nur um den Lernstoff. Für Fiona ist es mindestens genauso wichtig, dabei zu sein. Auch mal Pausenquatsch zu machen, statt nur den Stoff durchzupauken. Halt gibt ihr vor allem die Perspektive, nach überstandener Therapiezeit wieder in den Klassenverbund zurückzukehren. Bis dahin ist der Roboter ihr Tor zur Außenwelt. „Meine Freundinnen kümmern sich rührend um den Avatar“, erzählt Fiona mit einem breiten Grinsen. Auch außerhalb des Unterrichts schleppen sie „Fifi“ quer über das Schulgelände. Während des Sportunterrichts kann die Neuntklässlerin so den anderen beim Schwitzen zuschauen oder als „lebendiges“ Discolicht für Stimmung im Musikunterricht sorgen. Beim Bewerbungstraining schmiedet sie Pläne für ihre berufliche Zukunft.
Dennoch freut sich die 15-Jährige auf den Tag, an dem sie den Avatar abgeben kann. Wenn alles gut geht, wird das im Mai sein. Auch Clara und Lea zählen schon jetzt die Tage. „Wir glauben fest daran, dass Fiona es wieder schafft. Schließlich haben wir all das schon einmal zusammen durchgestanden.“ Der kleine Roboter wandert dann auf den Platz eines anderen Kindes. Und Fiona kommt in die 10. Klasse.