Frau Deubzer, was ist Usability? Die Nutzerorientierung eines Produkts. Hier geht es um das Ausmaß, in dem das Produkt zum Nutzer, seinen Aufgaben und den Kontextbedingungen passt. In dieses Bermudadreieck tauchen wir wissenschaftlich ein.
Sie haben mit einem Team aus Usability-Experten, Diplom-Psychologen und Anthropologen zunächst Steuerungs- und Schaltanlagenbauer in Deutschland besucht – was genau haben Sie vor Ort gemacht? Nutzer-Aufgaben-Kontext-Analysen, kurz: NAK. Wir erfassen dabei vor Ort die Spezifika der Nutzer, ihre Kenntnisse, Vorlieben und Motive. In die Beobachtung fließen auch ihre Aufgaben und Handlungsziele und die spezifischen Kontextbedingungen und Nutzungssituationen mit ein.
Konkret haben Sie also dem Schaltschrankmonteur über die Schulter geschaut? Wir haben jeden, der mit dem Produkt Schaltschrank arbeitet, in den jeweiligen Unternehmen beobachtet und befragt. Dokumentiert wurde schriftlich, teils fotografisch und filmisch. Aber das war nicht nur der Schaltschrankmonteur. Denn ein Industrieprodukt hat im Unterschied zum Consumer-Produkt eine Vielzahl von Nutzergruppen. Beim Schaltschrank sind dies Konstrukteure, Logistikmitarbeiter, Monteure, Verdrahter, Prüfer, Inbetriebnehmer, Instandhalter etc. Dazu kommen noch die Kaufentscheidergruppen wie technische Einkäufer, Geschäftsführer und Asset-Manager.
Das hört sich komplex an. Deswegen gilt Usability-Engineering auch als Königsweg zum Nutzer. Usability geht weit über das hinaus, was heute unter User Experience firmiert. Es bezieht Aufgaben und den Kontext mit ein. Dazu braucht man viel humanwissenschaftliches Wissen, denn Wissen lenkt den Blick.
Was haben Sie denn erkannt? Teils war es unglaublich. Selbst bei einem vermeintlich simplen Produkt wie einem Schaltschrank konnten wir mit der Studie exponentielles Wissenswachstum generieren. Von „Wow“ bis „Genial“ war alles an Reaktionen dabei. Das betrifft übrigens auch die Mitarbeiter in den Unternehmen, denen wir eine Möglichkeit der Reflektion gegeben haben.
Fühlten sich die „Probanden“ nicht gestört von der Anwesenheit eines penibel dokumentierenden Externen? Wir haben empirisch bewährte Mittel und Wege, um Störfaktoren wie z.B. die selektive Wahrnehmung zu minimieren. Das fängt bei der Kleidung des Untersuchers an, geht über die Ansprache und ausgeprägte praktische Skills bei der Erhebung bis hin zum Zeitraum, an dem wir vor Ort sind. Oft ist es so, dass die Gewöhnungsphase erst nach zwei, drei Stunden vorüber ist.
Ihr Institut hat drei Tiefenanalysen bei drei Unternehmen in Deutschland durchgeführt – dann war ein Rittal Untersuchungsteam bei sieben Unternehmen in Deutschland, bei sechs Unternehmen in China sowie bei acht Unternehmen in den USA zu Gast. Warum? Das waren Studien zur Überprüfung der Befunde in anderen Märkten und Kulturen. Natürlich haben wir die Rittal Mitarbeiter – Vorentwickler, Konstrukteure und Produktmanager – vorher in wissenschaftlicher Methodik trainiert und angeleitet.
Was kommt bei einer Nutzer-Aufgaben-Kontext-Analyse unterm Strich raus? Nach der Dokumentation und Auswertung folgt das sogenannte Requirements-Engineering und die Entwicklung des Optimierungs- und Innovationspotenzials. Wenn ich die Anforderungen genau kenne, hat die Abteilung Forschung und Entwicklung eine belastbare Anleitung für die eigentliche Entwicklungsarbeit.