Text Ulrich Kläsener ––– Fotografie
Zuliefererwerk Schopfheim, November 2015. Die Lage ist ernst. Kurz nach elf am Vormittag stehen drei Jahre Entwicklungsarbeit auf der Kippe. Der Testlauf zur Profilierung des Rahmenprofils droht, ein Fiasko zu werden. „Bis zur Systemlochung lief es gut“, erinnert sich Heiko Holighaus, Hauptabteilungsleiter Forschung und Entwicklung bei Rittal. „Dann aber wellte sich das Material. Die Laserschweißnaht war nicht prozesssicher zu setzen. Es war nicht sauber hinzukriegen.“ Hunderte Entwürfe für den neuen Schaltschrank VX25, ungezählte Simulationen, intensive Nutzerfor-schung, jede Menge Herzblut – alles Makulatur?
Hop oder top?
Eine düstere Vorahnung lag in der Luft, denn ausnahmsweise ging es hier wirklich um alles. „Mit dem Profil steht und fällt jede Großschrankkonzeption, es ist der technologisch anspruchsvollste Part“, erläutert Frank Himmelhuber, Geschäftsbereichsleiter Forschung und Entwicklung bei Rittal. „Das Profil entscheidet zu guten Teilen über den Bauraum, die Effizienz bei Engineering und Montage, die Erweiterungsmöglichkeiten, die Stabilität und damit Sicherheit, die Flexibilität in der Werkstatt des Kunden et cetera. Das bedeutet: Kippt das Profil, fangen wir wieder von vorn an.“ Das mussten sie unterdessen nicht.
Um 180 Grad gedreht
Die Rittal Entwickler gingen in Klausur und spielten alle denkbaren Optionen über Monate hinweg durch, während sie unverdrossen weiter am Prototypen arbeiteten. Am symmetrischen Profil gab es eh nichts zu rütteln. Da musste auf der Fertigungsseite eine Lösung her – ein kleiner Geniestreich löste den Knoten: Die Schweißnaht wurde um genau 180 Grad versetzt. Heiko Holighaus, Hauptabteilungseiter Forschung und Entwicklung bei Rittal: „Dafür haben wir das Profil um 180 Grad gedreht, also innen angefangen zu profilieren, um dann außen zu schweißen – statt umgekehrt.“ Durchatmen. Neuer Testlauf auf der modifizierten Anlage. Und der gelang. Tatsächlich brachten auch die Prüfungen auf Stabilität und Verwindungssteifigkeit Top-Ergebnisse. Kurz darauf schon gingen die ersten VX25 Musterschränke auf die Reise zur Pilotanwendung bei ausgewählten Kunden.
Nur ein Schrank?
„Wie im Flipper haben wir uns teils gefühlt.“ Aber: „No Pain, no Gain. Für solche Projekte wird man Entwickler.“ Frank Himmelhuber und Heiko Holighaus kennen die Höhen und Tiefen einer Produktentwicklung, die auf den ersten Blick Widersprüche wie völlige Designfreiheit kontra konstruktive Zwänge vereinen muss. Zumal: Schlichtes drastisch zu optimieren, zählt zu den Königsdisziplinen in Forschung und Entwicklung. „Ein Schrank bleibt immer ein Schrank. Er wird nie fliegen können.“ Frank Himmelhuber: „Die Entwicklung von hinten an zu denken und die Prozesse beim Kunden vorab wissenschaftlich zu untersuchen, war da genau der Kick, den wir brauchten. Gleiches gilt für die drei Teams: getrennt starten, dann die Ergebnisse konsolidieren und sich gegenseitig befruchten.“
Rittal Innovation Center Haiger, Herbst 2016 Sie heißen Design Thinking, Open Innovation oder Lead-User-Methodik. Amerikanische Denkfabriken haben ausgiebig die Voraussetzungen erforscht, unter denen das Neue seinen Weg findet. Größter gemeinsamer Nenner: Die Innovation wird nicht im stillen Kämmerlein erarbeitet, sondern im Austausch mit ausgesuchten Anwendern. Die Suche nach höchster Usability des neuen Großschranks VX25 führte auch Rittal direkt in die Werkstatt ausgesuchter Top-Kunden. Mitglieder des Kundenbeirats haben die Entwicklung des VX25 von Beginn an begleitet: als Sparringspartner, Impulsgeber und Pilotanwender. Ein Resümee.