Text Hans Robert Koch ––– Fotografie
Herr Prof. Dr. Mohr, die Industrie in den USA ist auf Wachstumskurs. Welche Chancen ergeben sich dadurch für Unternehmen hierzulande?
Wir nehmen eine recht positive Stimmung in den USA wahr, vor allem innerhalb der Industrie, was die nächsten Monate und vielleicht ein bis zwei Jahre betrifft. Die enormen Infrastruktur-Investitionen dort führen dazu, dass zum Beispiel vermehrt Steuerungs- und Schaltanlagen gebaut werden. Das führt im Anlagenbau zu einer erhöhten Nachfrage, der man jetzt schnell nachkommen muss. Wir sehen auch große Investitionen in der IT, was Data-Center und KI-Readiness betrifft. Das ist sehr positiv für IT-Infrastrukturanbieter, wie wir es mit Rittal sind. Die aktuelle Entwicklung bringt also sowohl eine zusätzliche Nachfrage für den Anlagenbau als auch für uns als Lieferant mit sich.
Ganz anders ist die Lage der Industrie in Deutschland und Europa. Welche Folgen hat die aktuelle US-Politik hier?
Was wir gerade erleben, ist das Ende der Globalisierung. Dass wir aus Deutschland oder Europa Produkte für die Welt produzieren, ist aufgrund der geopolitischen Situation nicht mehr in dem Maß umsetzbar. „America first“ bringt verstärkt Zollbarrieren mit sich und fokussiert die Inlandsnachfrage. Das Gleiche erleben wir übrigens in China – was natürlich für Europa, insbesondere Deutschland, zwangsläufig Herausforderungen mit sich bringt. Wir haben hier eine Maschinerie etabliert, die für die Welt produziert hat und jetzt eigentlich nur noch für Deutschland und Europa agieren kann.
Sind Produkte aus Europa nicht weltweit gefragt?
Europa hat in den letzten 50 Jahren eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hingelegt, in der wir in der klassischen industriellen Wachstumskurve mitgefahren sind. Doch diese hat jetzt ihren Zenit überschritten. Dazu kommt, dass wir den verstärkten Trend der Commoditisierung erleben. Produkte, die früher noch über eine besondere Kompetenz höher bepreist werden konnten, werden zunehmend allgegenwärtig und unterscheiden sich nicht mehr sonderlich von dem, was aus Asien oder Amerika kommt. Eine größere Preisprämie zu erzielen, ist oft nicht mehr möglich. So geraten Firmen unter Kostendruck und spüren nicht mehr die Nachfrage, die sie noch vor Jahren hatten.
Wo liegt aus Ihrer Sicht das zukünftige Potenzial für Wachstum?
Die neue Wachstumskurve kann aus meiner Sicht nur über Deep Tech Leadership und Softwarekompetenz in der Industrie kommen. Da reden wir über Cloud und KI sowie über neue Formen der Computer- und Chiptechnologie. In all diesen Themen sind wir in Europa nicht sonderlich weit vorne. Hier sind die Asiaten und Amerikaner führend. Das Feld schlechthin, auf dem Deutschland und Europa noch etwas gewinnen können, ist die Kopplung der Kompetenzen aus der „alten“ Industriekurve mit Kompetenzen der „neuen“ Industriekurve. Ich spreche von Industrial AI oder KI in der Fertigung, im Gesundheitswesen, in der Pharmazie etc. Immer dann, wenn es im benötigten Domänenwissen sehr spezifisch wird, können wir mit Know-how gewinnen.
Was verstehen Sie unter „gewinnen können“?
Das Problem ist: Die einen machen Deepseek, die anderen Stargate – und die EU macht Regulierungen. Das führt dazu, dass wir schlichtweg gewisse Dinge gar nicht machen können. Die Industrie schaut sehr besorgt darauf. Wird der KI-Act nicht verändert, führt das automatisch dazu, dass man diese Entwicklungen außerhalb von Deutschland und Europa machen wird. KI muss reguliert werden, das steht außer Frage. Doch es ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt in der Produktentwicklung man welche Form der Regulierung anstreben muss. Es ist immer schlecht, schon vorher alle Eventualitäten zu regulieren. Dann bleibt die Entwicklung in den Kinderschuhen stecken.
Sie sprechen von Deep Tech Leadership. Wie weit sind Eplan und Rittal bei KI-Entwicklungen?
Wir sind eines der wenigen Unternehmen, das im Bereich Industrial AI bereits erfolgreich ist. Die Entwicklungen bei Eplan und Rittal sind ein Beispiel dafür, wie Industrial AI auf die Straße kommt. Wir bezeichnen das als „AI-Driven Industrial Automation“. Das meint die KI-getriebene Entwicklung von Automatisierungslösungen, bis hin zum KI-generierten Digital Twin mittels Eplan Data Portal. Wir sind darin nicht nur führend unterwegs, weil keiner unserer Wettbewerber das bis jetzt in diesem Stil kann. Es bietet unseren Kunden vor allem extrem viele Mehrwerte – von erheblich höherer Geschwindigkeit in der Konstruktion ihrer Anlagen bis zur enormen Steigerung ihrer Produktivität.
Wie sieht die technische Lösung aus, wo setzen Sie konkret mit KI an?
Das zentrale Element ist hierbei das Eplan Data Portal, das wir jetzt mit KI entsprechend optimieren, um Mehrwert zu schaffen. Hier arbeiten wir unter anderem mit Microsoft zusammen. Man könnte dem Eplan Data Portal künftig sagen: „Konfiguriere mir die ideale Electrical-Engineering-Lösung, welche die folgenden drei, vier, fünf Kriterien erfüllt …“ Und den Rest macht das System dann selbst. Am Schluss steht eine Empfehlung zum Beispiel für den Aufbau einer Montageplatte mit entsprechenden Geräten und Komponenten – und mit einer optimalen Ausnutzung der gesamten Fläche sowie einer optimierten Lösung für die Fertigung. Das ist natürlich ein Riesenschritt nach vorne für unsere Kunden! Der Software-Ingenieur wird zukünftig prompten und nicht konfigurieren. Auf der Hannover Messe werden wir diesen und andere Use-Cases vorstellen.
Mit KI gibt es also noch Chancen für die deutsche Industrie. Wie sieht es im Cloud-Geschäft aus?
Für das Cloud-Geschäft wird eine entsprechende IT-Infrastruktur mit Rack-Lösungen dringend benötigt – die wir ja liefern. Doch was die Produktions-standorte betrifft, haben sich die Anforderungen verändert. So erwarten unsere Kunden in den USA, dass wir auch in den USA produzieren. Um den Regularien der neuen Regierung zu entsprechen, verlagern wir aktuell unsere Produktion von Racks komplett in die USA und weiten sie entsprechend dort erheblich aus.
Zeiten wie diese sind extrem schwierig für Unternehmen. Worin zeigen sich gerade hier die Stärken von Familienunternehmen?
Eine zentrale Stärke ist die finanzielle Stabilität. Gerade in Zeiten, in denen Unsicherheit herrscht und die Auftragslage vielleicht nicht so ist, wie man sich das vorstellt, hat ein finanzstarkes Familienunternehmen wie die Friedhelm Loh Group die Stärke, die eine oder andere Durststrecke zu kompensieren. Eine zweite Stärke ist die Möglichkeit, unternehmerisch zu agieren, also schnelle Entscheidungen herbeizuführen, mit schnellen Korrekturen auf solche Entwicklungen zu reagieren. Das dauert in anderen Unternehmen häufig viel länger. Und eine dritte Stärke ist die Nähe des Unternehmers zu seinen Mitarbeitern, und die Sorgfalt, die hier ausgeübt wird.
Welches Mindset braucht man, um positiv nach vorne zu schauen?
Das Mindset eines Familienunternehmens ist ein sehr langfristiges. Man spricht von der „Enkelfähigkeit“, dass man nicht auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus ist, sondern ein Unternehmen langfristig im Markt halten möchte. Und dieses Mindset ist gerade in unsicheren Zeiten wichtig. Wo andere schnell mal Bereiche schließen, schaut ein Familienunternehmer anders hin und sagt: „Ich habe hier eine Verantwortung.“ Gesucht werden immer neue Wachstumspfade – und wo investiert werden soll. Das macht für mich das Arbeiten in einem Familienunternehmen wie der Friedhelm Loh Group so interessant.