Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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Datenflüsse transparent machen
Innovation

Die Industrie als Treiber

Ob Klimawandel, Energieknappheit, Fachkräftemangel oder Wandel der globalen Lieferketten: Digitalisierung und Automatisierung sind der wirksamste Hebel für die Industrie. Sebastian Seitz erläutert, warum es dafür Standardisierung und Datenräume braucht, wie Smart Production und Energiewende zusammenhängen und wie Industrieunternehmen damit zum Enabler für ihre Kunden werden können. Sebastian Seitz ist CEO von Eplan und Cideon und einer der Treiber für den Bereich Industriesoftware der Friedhelm Loh Group.


Text Ulrich Sendler, Steffen Maltzan, Dr. Carola Hilbrand ––– Fotografie

Herr Seitz, die Zeichen stehen auf Umbruch. Klimakrise, Energieversorgung, Lieferketten und divergierender Welthandel – kein Stein bleibt auf dem anderen. Wie soll die Industrie das schaffen?

Sebastian Seitz: In unserer globalisierten Welt herrschte der Glaube, dass alles grenzenlos verfügbar sei. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass diese Sichtweise naiv ist. Der Industrie muss eine grundlegende Transformation gelingen, während es vielerorts immer schwerer wird, dafür die nötigen Fachkräfte zu finden. Die Antwort kann nur lauten, hochgradig automatisiert zu planen, zu bauen und zu fertigen. Das heißt: Die Industrie ist Teil der Lösung. Die Energiewende zeigt es besonders deutlich: Elektrische Energie wird andere Energieformen ersetzen. Die Stromnetze müssen erheblich höhere Lasten und Schwankungen bewältigen. Dafür braucht es schnell neue Infrastruktur. Es wird trotzdem nicht mehr zu jeder Zeit ausreichend günstige Energie für die Industriebedarfe zur Verfügung stehen. Das ist für Fertigungsunternehmen eine Herausforderung. Es geht nicht nur um ein paar Prozent mehr Effizienz, sondern um ein ganz neues Level des Energiemanagements – bis hin zur flexiblen Organisation der verbrauchsintensiven Prozesse nach verfügbarer Energie oder Kostenstaffel. Dafür brauchen Sie neben der Infrastruktur auch die entsprechende Software-Architektur – quasi die Dateninfrastruktur, um Prozesse zu digitalisieren, Datenflüsse transparent zu machen und zu managen. Aus unserer Sicht in der Friedhelm Loh Group hat die Industrie die Chance, Möglichmacher der Transformation zu sein.

Welche Rolle spielen dabei Initiativen, die – wie die Plattform Industrie 4.0 – souveräne Daten­räume definieren?

Seitz: Solche Initiativen sind umso wirkungsvoller, je stärker sie die Standardisierung und die Vereinbarung von Referenzarchitekturen vorantreiben, an denen sich alle orientieren. Wir arbeiten intensiv daran mit. Aber es kommt auf die Umsetzung solcher Konzepte in der Praxis an – auch damit die Erfahrungen schneller wachsen und wieder in die Standards einfließen können. Im Rittal Werk in Haiger haben wir mit sehr viel Aufwand und auch Schmerz gelernt, Datenräume zu schaffen und zur Smart Production zu verbinden. Die Schwesterunternehmen Rittal, Eplan, Cideon und German Edge Cloud haben dafür ihre Erfahrung und ihr Domänenwissen rund um die Daten von Produkt, Anlagen und Fertigungsprozess kombiniert. Dort entstehen bis zu 18 Terabyte Daten pro Tag. Aber: Erst wenn Sie diese Daten genau in den Kontext stellen, erhalten Sie die nötige Transparenz, um Erkenntnisse zu gewinnen und ­Prozesse zu optimieren. Dieser Ansatz hat uns weit ­vorangebracht. Diese Arbeit nimmt Ihnen übrigens keine KI ab, sie ist vielmehr die Grundlage für deren Einsatz. Das Ziel einer Smart Production ist es, die Daten dann automatisiert zu nutzen, damit die Systeme selbstständig auf Veränderungen reagieren können. Dabei steht die Industrie noch am Anfang, aber die Perspektive und die Roadmap sind da.

„Transparenz erfordert, Daten zu verstehen und zu verbinden. Energie­monitoring braucht den Kontext von Fertigungs-, Produkt- und Anlagendaten.“


Sebastian Seitz,
CEO von Eplan und Cideon

Sie sprachen eben von der Energiewende. Inwiefern braucht es dafür diese Art von „Smart Production“?

Seitz: Nehmen Sie das Thema Energieverbrauch. Kaum jemand kann heute den Energieverbrauch einer Fabrik mit den Fertigungsprozessen oder den produzierten Teilen, geschweige denn konkret über die Zeitachse, ins Verhältnis setzen. Mehr als die Verbrauchsabrechnung der Provider steht meist nicht zur Verfügung. Bis vor Kurzem hat das ja auch gereicht. Wir sind davon überzeugt, dass der CO₂-Footprint und das Management nach Energieverfügbarkeit – wie bisher Zeit, Kosten und Qualität – zu einer vierten ­zentralen Steuerungsgröße der Fertigung werden. Die üblichen ERP- oder Fertigungs-Systeme (MES) sind dafür nicht ausgelegt. Im Rittal Werk in Haiger hat uns die Software-Architektur unseres ONCITE Digital Production System (DPS) geholfen, die Energieverbräuche nicht nur detailliert zu messen, sondern auch mit den Fertigungs-, Produkt- und Anlagendaten zu korrelieren (siehe Grafik und Kasten). Erst wer versteht, warum welche Last in welcher Maschine oder Anlage entsteht, findet auch die Stellschrauben zur Optimierung. Ohne die Transparenz und Datenflüsse zwischen Produktentwicklung, Produktionsplanung, Produktion und Energielieferanten wäre das nicht möglich.

Welche Voraussetzungen muss die Software dafür erfüllen?

Seitz: Cloud-native Software auf Basis von Microservices macht den Unterschied. Die damit verbundene Standardisierung ist heute aus guten Gründen der Stand der Technik bei Software-Neuentwicklungen in der IT. Industrie­-Software hat aber oft längere Entwicklungszyklen und ist dann noch länger im Einsatz. Die meisten ERP- und Fertigungs-Systeme (MES) kommen aus einer Zeit, in der man noch Client-Server-Technologie entwickelt hat. Solche Software funktioniert gut für ihren speziellen Einsatzzweck, aber ihr fehlt die heute dringend nötige Flexibilität für neue Anforderungen. Das bietet Composable Software, die auch bestehende Anlagen im „Brownfield“ schrittweise ergänzen kann. Das heißt für die Praxis: Ich kann schnell mit den wichtigsten Funktionalitäten starten und bei Bedarf neue Module hinzufügen, welche die Daten über standardisierte Schnittstellen (APIs) teilen. Es ist ein immenser Technologiewandel, den wir da gerade erleben.

Ein Projekt, das die Automobilindustrie zur ­Digitalisierung ihrer weltweiten Lieferketten ins Leben gerufen hat, ist Catena-X. Wie schätzen Sie dessen Bedeutung ein?

Seitz: Catena-X und das darauf aufsetzende, für den Herbst angekündigte Manufacturing-X sind für die Industrie sehr wichtig. Wir sind an beiden beteiligt, von Beginn an. Die Möglichkeiten sind vielfältig, von CO₂-Footprint über Kreislaufwirtschaft bis zur Rückverfolgung von individuellen Teilen über alle Stufen der (Zu-)Lieferkette. Um das zu ermöglichen, braucht es Standards. Über die technische Datendurchgängigkeit hinaus müssen auch die Datensouveränität und andere rechtliche Vereinbarungen standardisiert werden. Dann kann so ein Ökosystem mit Leben gefüllt werden. Und die Zahl der Teilnehmer wächst, die auch im eigenen Unternehmen die Voraussetzungen für Datendurchgängigkeit schaffen. Mit ONCITE arbeiten wir, gerade auch an bestehenden Anlagen, aus Überzeugung intensiv an beiden Enden. Wichtig ist, dass Catena-X sich weiter internationalisiert, das gilt grundsätzlich für alle Arten der Standardisierung. Das Konzept muss für große Wirtschaftsräume funktionieren. Wir müssen für internationale Anerkennung sorgen. Die Herausforderung ist groß und braucht eine hohe Geschwindigkeit.

Was raten Sie einem Kunden, der jetzt seine Transformation in Angriff nimmt?

Seitz: Was wir aus langer Erfahrung wissen, gilt nach wie vor: Das größte Potenzial steckt in der Optimierung von Prozessen. Bevor Sie digitalisieren, müssen Sie die Prozesse genau verstehen und beschreiben. Setzen Sie dann auf Standardisierung und nutzen Sie vorhandene Lösungen. Sie kommen viel schneller voran, wenn Sie anstelle einer eigenen Gesamtlösung die besten existierenden Lösungen für jede Anforderung datendurchgängig kombinieren, auch im Brownfield. Das hohe Tempo wird dabei mindestens dreifach gebraucht: Erstens, um das eigene Unternehmen fit für die Transformation zu machen. Zweitens, damit die Energiewende zur Energieeffizienz­wende für die Industrie werden kann. Und drittens, damit die nötigen Datenräume und internationalen Ökosysteme wie Catena-X und Manufacturing-X wachsen können.

Vielen Dank für das Interview!

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