Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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Zeitenwende Energie: Aufgaben, Chancen, Lösungen
Innovation

Wo wir Energie reinstecken müssen

Thema Energiewende. Selten zuvor brauchten der Anlagenbau und die fertigende Industrie so schnell und so dringend kluge Lösungen für eine Vielzahl von komplexen Anforderungen. Doch wie lassen sich diese lösen? Wo liegen die Chancen? Was ist zu tun? Wir sprachen mit Uwe Scharf, Geschäftsführer Business Units (CBO) bei Rittal.

Text Ulrich Kläsener, Hans-Robert Koch, Steffen Maltzan ––– Fotografie

Herr Scharf, auf welche Umbrüche muss sich die Industrie im Rahmen der Energiewende vorbereiten?

Scharf: Der „Energy Transition Outlook“ zeigt die großen Entwicklungslinien bis 2050 auf. Wir sehen in der DNV-Studie bestätigt: Alles überragender Trend ist die zunehmende Elektrifizierung, Stichwort All Electric Society. Energie muss produziert, gespeichert, umgewandelt, verteilt und in den Verbrauch überführt werden. Ein Riesenmarkt, in dem Infrastruktur dafür aufgebaut werden muss. Damit einher gehen steigende Anforderungen an die Netze und die Energieinfrastruktur im Gesamten.

Was ändert sich konkret bei den Netzen?

Scharf: Das Gelingen der Energiewende hängt von vielen Faktoren ab: Erstens, die Geschwindigkeit beim Ausbau der Energienetze wird (und muss) massiv zunehmen, um mit den Anforderungen Schritt zu halten. Der Weg von Kohle, Gas und Öl hin zu Strom aus erneuerbaren Energien wird das Stromnetz enorm belasten und die Komplexität im System deutlich erhöhen. Denn das bisherige Netz zur Verteilung zentral erzeugter Energie wird zu einem komplexen Netzwerk mit vielen dezentralen Akteuren. Zweitens werden die Anforderungen an Transparenz, Flexibilität und Intelligenz der gesamten Energieinfrastruktur steigen, die sich – digital gestützt – überwachen und steuern lassen müssen. Drittens, das Zusammenspiel verschiedener Elemente des Energiesystems, Stichwort Sektorenkopplung. Nehmen wir die Idee, Fahrzeugbatterien als mobile Speicher zu nutzen und Strom in beide Richtungen fließen zu lassen. Oder die Umwandlung von Wind- und Solarstrom in Wasserstoff und Methan, das sogenannte „Power to Gas“-Verfahren. Eines wird hier sehr deutlich: Wir wissen, dass in Sachen Energie einfach nichts beim Alten bleiben wird.

Welche Auswirkung hat diese Veränderung auf Industrieunternehmen?

Scharf: Zusätzlich zu Lieferengpässen, Fachkräftemangel und der neuen Volatilität an den Märkten müssen sich Unternehmen um Energie als eine erfolgs- und damit geschäftskritische und strategisch relevante Größe kümmern, d. h. um die Verfügbarkeit der knappen Ressource Energie und um ein smartes Energiemanagement, das energieintensive Fertigungsvorgänge in energiegünstige Zeiten verlegt. Wichtig ist es, zunächst die zentralen Fragen zu stellen: Beispielsweise, wie wirkt sich die Energietransformation auf meine eigene Organisation, meine Produkte und Verfahren, die Geschäftsstrategie und Kunden aus?

Zur Gretchenfrage: Was tun, Herr Scharf?

Scharf: Die großen Herausforderungen der Energiewende sind zugleich eine Chance mit großen Potenzialen für uns alle. Selten zuvor brauchte die Industrie so schnell und so dringend neue Lösungen für eine Vielzahl an Themen. Und sie braucht mehr als Produkte, sie braucht Partner, die helfen, Komplexität zu managen und wettbewerbsfähig zu bleiben.

Wie lässt sich denn die neue Komplexität managen?

Scharf: Aus unseren Erfahrungen bei Rittal und Eplan mit Kunden aus dem Steuerungs-, Schaltanlagen- und Maschinenbau können wir sagen: In der Optimierung und Industrialisierung von Prozessketten liegen ganz erhebliche Potenziale für Effizienz im Betrieb. Dafür gilt es, immer und konsequent entlang aller Kundenprozesse zu denken und sie zu verstehen, um sie optimieren zu können. Optimierung geht bei der Vielzahl der Anwendungen und Veränderungen nur durch konsequente Standardisierung in allen Bereichen. Hier arbeiten wir gemeinsam mit unseren Kunden und Partnern. Integrierte Hard- und Software-Lösungen erhöhen das Tempo beim Ausbau der Infrastruktur – von Energieerzeugung und Speicherung über Netzausbau und Sektorenkopplung bis zum Ladepark für E-Mobile. Hier stellen wir uns im Verbund mit Eplan, Rittal und GEC in vielen Bereichen neu auf.

Das klingt kompliziert.

Scharf: Händelbarer wird es, wenn Sie in Standards und Modulen denken. Entscheidend wird es sein, ob wir in der Lage sind, ein großes Ganzes hinter den Herausforderungen zu erkennen, um dann standardisierte Lösungen zu entwickeln. Das Handlungsprinzip aus unserer Sicht ist: Entlang der Prozesse unserer Kunden denken, automatisieren und digitalisieren, also Hardware und Software verbinden, und dann Transparenz schaffen. So lassen sich auch komplexe Systeme schneller umgestalten und auf die Zukunft ausrichten.

Als Dreh- und Angelpunkt der Energiewende gilt eine stringente Digitalisierung. Warum?

Scharf: Weil sie Komplexität reduziert. Wir arbeiten bei Eplan und Rittal seit vielen Jahren mit Kunden aus allen Segmenten der Energiewirtschaft zusammen. In allen Bereichen werden digitale Datenmodelle aufgebaut. Datendurchgängigkeit vom Engineering bis zu Bau und Betrieb ist trotzdem in den wenigsten Fällen schon gegeben. Die Herausforderungen der energetischen Transformation sind zu vielschichtig. Was wir brauchen, sind konsistente, vernetzte und smarte Datenmodelle bei Aufbau und Betrieb von Energieinfrastruktur, von Rechenzentren, von Maschinen und Anlagen in der Produktion und bei der Gebäudetechnik. Dass auch die beschriebene Sektorenkopplung nur mit datendurchgängigen Ökosystemen funktionieren kann, dürfte einleuchten. Auch hier gilt: Wer den digitalen Zwilling ins Zentrum stellt, verfügt über die DNA, über die zentrale Datendrehscheibe und damit über alle relevanten Informationen einer Anlage, die in nachgelagerten Prozessen von der Fertigung bis zum Betrieb verwendet werden können. Zuletzt profitieren davon Anlagenbetreiber bei der Instandhaltung und Vernetzung.

Laut DNV-Studie wird die Energiewende wahrscheinlich zu einer beispiellosen branchenübergreifenden Zusammenarbeit führen. Wieso und welche Chancen ergeben sich dadurch?

Scharf: Die Aufgaben sind einfach zu komplex, als dass sie einer allein – oder jeder für sich – lösen kann. Wir brauchen Partnerschaften und Lösungsansätze auf der Grundlage von Erfahrungsaustausch. Es gibt einen unheimlichen Erfahrungsschatz gerade in der Industrie in Deutschland, der es ermöglicht, auf Best- Practice-Lösungen aufzusetzen. Hier sind wir wieder bei Standards und Modulen. Diesen Ansatz verfolgen auch wir. Rittal und die Schwestergesellschaften machen der Energiebranche praxiserprobte Lösungen aus zahlreichen weltweiten Energieprojekten und -märkten an diversen Stellen des Energiekreislaufs zugänglich. Wir wollen partnerschaftlich begleiten, Herausforderungen verstehen und schöpfen dann aus einem erprobten Repertoire an Lösungen, die darauf hin ausgerichtet werden können.

Von welchen Lösungen sprechen Sie hier genau? Was wird gebraucht?

Scharf: Ein gutes Beispiel sind unsere Engineering-Standards, moderne Software-Plattformen oder auch die Base Solutions für verschiedene Bereiche des Energiemarktes. Auf Basis vieler umgesetzter Kundenprojekte haben Eplan und Rittal gemeinsam „Best-Practice-Templates“ erstellt, beispielsweise zur Planung und Umsetzung von Ladeparks für E-Mobility. Planer können so im Elektro-Engineering mit Eplan gleich auf ein vorgedachtes, vorkonfiguriertes Projekt mit allen Details inklusive standardisierter Industrie- Hardware aufsetzen und müssen nur noch nach Bedarf minimal individualisieren – statt aufwendig immer wieder neu zu entwickeln. Das bringt Tempo ins Projekt – über datendurchgängige Standards und Module.

Gehen wir vom Anlagenbau zu den Betreibern. Was kann die fertigende Industrie als Energieverbraucher tun?

Scharf: Sie kann als Großverbraucher mit Fertigungsanlagen das Heft selbst in die Hand nehmen. Erstens, indem sie selbst zum Energieerzeuger wird. Dafür existieren industrieerprobte Lösungen von der Photovoltaikanlage auf dem Firmendach bis zur Biogasanlage usw. Zweitens, indem sie ihre Energieflüsse misst und diese in der Folge managen kann – unterstützt zum Beispiel mit einem Batteriespeicher im Energiecontainer. Ein integriertes Datenmanagement der Fertigungsprozesse mitsamt Energiemonitoring kann dabei für die notwendige Transparenz sorgen. Nur mit Transparenz bei den Daten lässt sich ein professionelles Lastmanagement betreiben und der Energieverbrauch steuern. Nur so lassen sich Flexibilitätsoptionen schaffen, um Energieverfügbarkeit und -verbrauch optimal abstimmen zu können.

Und hier spielt Transparenz wieder eine entscheidende Rolle?

Scharf: Genau, wer die Informationen über die Fertigungsprozesse auch mit dem Monitoring der Energieströme verbindet, erweitert die Transparenz um einen Faktor mit steigender Relevanz. Wie sich mit dem Monitoring die Basis dafür legen lässt, zeigen Rittal und German Edge Cloud mit einer neuen Energiemonitoring-Lösung. Die offene Architektur des DPS (Digital Production Systems) als Composable Software ermöglicht die schnelle Integration neuer Anforderungen, wie beispielsweise Energietransparenz.

Was braucht es noch, wenn wir wirklich „end-to-end“ in allen Prozessen der Energiewirtschaft denken?

Scharf: Es braucht auch Transparenz in den Lieferketten. Das ist ein entscheidender Hebel. Nehmen Sie den Stahlmarkt, einen unserer größten Zulieferer, der extrem energieintensiv ist. Dieser ist unübersichtlich. Einheitlich globale Standards, was etwa „grüner“ Stahl ist und wie die Emissionen, die bei der Produktion entstanden sind, gezählt werden, gibt es derzeit noch nicht. Unsere Kunden interessiert mehr und mehr, wie viel CO2 tatsächlich in dem Stahl steckt, den sie bei uns bestellen. Unser Schwesterunternehmen Stahlo hat auf der Euroblech 2022 mit seinem PCF (Product Carbon Footprint)-Demonstrator „Stahlo Steel Gate“ einen ersten Impuls für mehr Transparenz in Stahllieferketten gesetzt. Beim komplexen Thema „Green Steel“ unterstützt Stahlo seine Kunden zudem mit dem bislang ersten Transparenz-Label im Stahlmarkt. Rittal greift das Thema auf, um das zukünftige Portfolio entsprechend aufzustellen.

Vielen Dank für das Interview!

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