Text Ingrid Kirsch ––– Fotografie
Frau Professorin Weissenberger-Eibl, Unternehmen arbeiten mit Forschungseinrichtungen, Konzerne mit Start-ups, selbst Konkurrenten tun sich zusammen: Ohne Netzwerke und Kooperationen scheint keine Organisation mehr auszukommen. Waren Unternehmen früher leistungsfähiger? Dass ein Unternehmen im Alleingang eine innovative Idee entwickelt und damit Nachfrage erzeugt, ist ein Idealbild, das nur selten zutrifft. Innovationsprozesse sind viel komplexer. Der Blick aus dem eigenen Unternehmen heraus wird in der Tat immer wichtiger. Es reicht heute nicht mehr, zu forschen und dann mit einem fertigen Produkt auf den Markt zu gehen. Unternehmen müssen einen Perspektivwechsel vollziehen.
Wie soll der aussehen? Statt von innen nach außen zu blicken, gilt es, eine Innovationsstrategie von außen nach innen zu entwickeln. Partnerschaften zu schließen. Erst zu verstehen, was außerhalb des eigenen Kosmos passiert – und sich dann zu fragen, welchen Beitrag das Unternehmen leisten kann für die Herausforderungen der Außenwelt. Dazu braucht es eine gezielte Suche nach Potenzialen, aber auch kluges Marketing und starke Kooperationen aller am Innovationsprozess beteiligten Akteure. Ich bin davon überzeugt: Wer sich in Netzwerken organisiert, hat größere Chancen, gehört zu werden, als jeder Einzelkämpfer.
Worauf führen Sie diesen Paradigmenwechsel zum neuen Miteinander zurück? Zum einen auf die Digitalisierung und die damit verbundene zunehmende Vernetzung. Unsere Studien zeigen, dass die Digitalisierung wie ein Katalysator für industriell-kollaborative Wirtschaftsformen wirkt. Darauf beruht zum Beispiel der Erfolg von Carsharing oder Pay-per-Service, die das Teilen von Wissen und geteilte Nutzen von Gütern auf breiter Basis ermöglichen. Dieses Teilen und Tauschen materieller und digitaler Güter wird weiter enorm ansteigen, wovon besonders kleine Unternehmen mit hohem Digitalisierungsgrad profitieren. Innovative Ideen werden nicht mehr nur für, sondern verstärkt mit Verbrauchern entwickelt.
Ein Beispiel? Unser Projekt „Patient Science“, bei dem erforscht wird, wie Menschen, die an einer seltenen Erkrankung leiden, am Forschungsprozess beteiligt werden können. Etwa über Gesundheits-Apps oder Tracking-Geräte, die Patienten am Körper tragen.
Eine aktive Rolle von Verbrauchern in solchen Netzwerken mag neu sein. Arbeitsteilung aber ist das Grundprinzip unserer Ökonomie seit dem Beginn der Industrialisierung vor knapp 200 Jahren. Vor 200 Jahren entstanden Innovationen oft entlang klarer technologischer Systemgrenzen und durchliefen in der Regel klassische Entwicklungsphasen. Heute erleben wir einen Wandel hin zu offenen Innovationsprozessen, an technologischen Schnittstellen, die bislang noch gar nicht miteinander verknüpft waren.
Woran denken Sie da konkret? Etwa an die Batterieforschung und die Autoindustrie, die sich jahrzehntelang getrennt voneinander entwickelten und heute intensiv zusammenarbeiten. Dass sich die Art der Arbeitsteilung verändert hat, zeigt auch der Trend zu kreativen Gründerzentren und Coworking Spaces. Diese Orte bieten ein hohes Innovationspotenzial, weil dort interdisziplinäres Wissen auf kreativen Freiraum trifft – ein idealer Nährboden für Start-ups. Auch Global Player (wie Bosch oder Siemens) entdecken das Potenzial dieser Arbeitsformen. Unsere Studien zeigen, dass wandlungsfähige Hightechunternehmen mit stark interdisziplinärer Ausrichtung in der globalisierten Wirtschaft einen strategischen Wettbewerbsvorteil gegenüber Konkurrenten haben.
Wie wird aus einem Netzwerk ein Wettbewerbsvorteil? Im Idealfall ist ein gutes Netzwerk ein beiderseitiges Nehmen und Geben. Das betrifft den Austausch von Wissen, aber eben auch den Dialog miteinander. Sehr wichtig sind auch persönliche Empfehlungen, um Zugang zu Netzwerken zu bekommen und einzuschätzen, ob ein Netzwerk zu meinen Interessen passt. Ich bin überzeugt, dass Netzwerke mehr Chancen als Risiken bieten. Gute Netzwerke basieren auf gemeinsamem Vertrauen. Und Vertrauen ist in der digitalisierten, globalisierten Welt ein hohes Gut. Es ist wichtig, vorurteilsfrei auf andere zuzugehen und einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Nur dann lerne ich die Stärken und Schwächen des anderen kennen. Je stärker und vertrauensvoller diese Verbindung ist, desto stärker ist mein Netzwerk. Und desto wahrscheinlicher treten Synergieeffekte auf, von denen alle profitieren. Und die braucht es, um etwa den Klimawandel und andere Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu lösen.
Im Zeitalter des Datenklaus kann dieses Vertrauen schnell bestraft werden. Daten, die zur DNA eines Unternehmens gehören, sind sicher sensibel. Würden Informationen offengelegt, die Kernkompetenzen eines Unternehmens darstellen, würde dies die Wettbewerbsfähigkeit ganz wesentlich gefährden. Aber das Risiko, dass geistiges Eigentum abgeschöpft wird, lässt sich nie völlig ausschließen. Aus meiner Sicht wäre es falsch, aus Furcht vor zu viel Transparenz auf Kooperation zu verzichten. Transparenz ist ein wichtiger Treiber für Innovationen. Ich bin davon überzeugt, dass es sich vor diesem Hintergrund lohnt, in die Digitalkompetenz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu investieren. Wir müssen Menschen in die Lage versetzen, mit Technik und damit verbundenen Chancen und Risiken sinnvoll umzugehen und sie von Grund auf zu verstehen. Ohne diese digitale Grundkompetenz könnte es in Zukunft schwierig werden. Deutschland hat hier noch Nachholbedarf.
Wer ist weiter? Etwa Unternehmen wie Procter & Gamble: Der Konsumgüterkonzern hatte schon vor gut 20 Jahren erkannt, dass es weltweit Millionen Forscherinnen und Forscher gibt, die mindestens gleichwertige oder höhere Expertise haben als die eigenen Mitarbeiter. Daraufhin gab P & G das Ziel aus, den Anteil von externen Kooperationen auf 50 Prozent zu steigern – mit großem Erfolg. Vor dem Strategiewechsel gehörte das Unternehmen zu den eher restriktiveren, aus Sorge um eigene Patente und Lizenzen. Heute ist P & G einer der größten Patentinhaber weltweit, auch dank vieler innovativer Produkte, die aus der Kooperation interner und externer Forschungsbereiche entstanden sind. Weil die Führungsspitze wusste: „Innovation bedeutet, neue Verbindungen zu schaffen.“