Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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Produktionsanlage für Schaltschränke
Praxis – Anlagenbau

Präzise Produktion im Sekundentakt

Industrie 4.0. Intelligent, effizient und bestens gerüstet für die Zukunft: Für die Produktion des neuen Schaltschrankstars VX25 verwandelt Rittal sein Werk in Rittershausen in eine hochvernetzte Zukunftsfabrik. Zu Besuch bei Visionären, die Innovationen für ihre Kunden vorantreiben.

Text Thomas Schmelzer ––– Fotografie Michael Koch

Mit großen Schritten läuft Carsten Röttchen, Technischer Geschäftsführer von Rittal, vor mir durch die Rittershauser Fertigungshallen. Links neben ihm sprühen die Funken der auto­matischen Schweißanlagen zum Takt der Roboter­greifarme hinter Sicherheitsscheiben. Rechts wummern die Pressen der Profilieranlage. Sie stanzen millimetergenaue Formen in das meterlange Stahlblechband. Dutzende Rollen greifen das  Band. So entstehen Schritt für Schritt die stabilen Rahmenprofile der Schaltschränke.

Röttchen ist zufrieden. Wie gewohnt läuft die Produktion nach Plan. Wie gewohnt liefern die Mitarbeiter im Zusammenspiel mit den Maschinen perfekte Rittal Qualität ab. Irgendwann während des Rundgangs durch die Fabrik aber bleibt Röttchen stehen, schaut durch die Halle und sagt diesen Satz: „In anderthalb Jahren wird hier nichts mehr so aussehen wie jetzt.“ Das sitzt.

Der Grund für Röttchens Aussage läuft am Ende der Fertigungslinien bereits jetzt vom Band: das neue Rittal Großschrank­system VX25. Die konsequente Fortentwicklung bestehender Qualität. Nur eben noch einmal besser. Mithilfe eines intensiven Kundendialogs, einer groß angelegten, wissenschaftlich fundierten Usability-Studie und jahrelanger Entwicklungsarbeit entstand ein komplett neues Produkt – das auf den bewährten Tugenden des Vorgängers TS 8 aufbaut und sie weiter perfektioniert.

„Für ein derart neu entwickeltes Spitzenprodukt benötigten wir natürlich auch neue Fertigungsanlagen“, erklärt Röttchen, während neben ihm die fertigen Blechprofile vom Band in einen Auffangbehälter purzeln. „Bei dieser Gelegenheit haben wir uns entschieden, die gesamte Fertigung im Werk Rittershausen auf den neuesten Stand der Technik zu bringen – und uns mit Industrie 4.0 fit für die Zukunft zu machen“, sagt er.

Umbau bei laufendem Betrieb

Ein Vorhaben, das es in sich hat. Im Endausbau soll der VX25 in Rittershausen auf Profilieranlagen von jeweils über 70 Metern Länge wachsen. Von den insgesamt 70 neuen Schweiß- und Handling-Robotern sind bereits 30 in die Produktionshallen eingezogen. „Wir investieren hier 70 Millionen Euro, um den VX25 so effizient und qualitativ hochwertig wie möglich zu produzieren“, sagt Röttchen. Das alles geschieht, während die reguläreTS 8 Produktion unbeeindruckt weiterläuft. So entfaltet sich ein ­hochkomplexes Umbauprojekt – eine ­Metamorphose am laufenden Band.

Damit sie  reibungslos gelingt, hat Röttchen zusammen mit seiner Mannschaft und dem Rittershauser Werkleiter Norbert Peter Umstellkurven entworfen, Modelle ausrechnen lassen und die verschiedenen Umbauszenarien immer wieder durchgespielt. Trotzdem weiß er, dass es in der Praxis solcher Umbauprojekte immer wieder zu neuen Herausforderungen kommt. „Dass alles so läuft wie geplant, ist so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto“, lacht er.

„Wir wollen Innovationen für unsere Kunden vorantreiben und setzen dieses Ziel ohne Kompromisse um.“


Carsten Röttchen
Technischer Geschäftsführer bei Rittal

Röttchen spricht aus Erfahrung. Er kennt gigantische Umbauprozesse wie den in Rittershausen genau. Bevor er zu Rittal kam, brachte er in der Automobilindustrie mehrere Produktionswerke auf den neuesten technischen Stand. Dabei hat er viel Erfahrung gesammelt. Eine riesige Herausforderung bei solchen Prozessen, erzählt Röttchen, sei zum Beispiel, dass sich ­während der mehrjährigen Umbauphase der Materialfluss ständig ändere. Hinzu kämen Anpassungen am Gebäude wie neue Säulenkonstruktionen oder anzupassende ­Fundamente.

Dass es so gut läuft, rechnen Röttchen und Werkleiter Peter vor allem den Mit­arbeitern an. Immer wieder zeigten sie sich flexibel. Immer wieder legten sie am Wochenende Extraschichten ein. Keine Selbstverständlichkeit, weiß Röttchen. „Das verdient großen Respekt.“

 

Industrie 4.0 umsetzen

In der Rittershauser Fertigungshalle ist er mittlerweile an der Stelle angekommen, an der sich die alte und die neue Anlage treffen. Zwei Profilieranlagen erstrecken sich vor ihm in die Länge der Halle. Links die ältere, rechts die neue im Farbton Power-Pink. „Im Prinzip funktioniert die neue Anlage so ähnlich wie die alte“, erklärt Röttchen. Auch sie stanzt, rollt, biegt und formt aus den riesigen Stahlblechcoils strapazierfähige und millimetergenaue Profile für die Rittal Schaltschrankrahmen. Doch genau wie der VX25 haben auch die neuen Produktionsanlagen dazugelernt. Hunderte Sensoren über­wachen den Prozess. Aufgrund der neuen Flexibilität werden zum Beispiel Nieten automatisch dem Rahmenprofil zugefügt. Danach wird dies abgelängt und für den Schweißvorgang bereitgestellt. „Und mit den Sensoren setzen wir unsere Vision von Industrie 4.0 konsequent um und machen unsere Qualitätsüberwachung noch effizienter.“

Wenn der Umbau fertig ist, soll die gesamte Fabrik nach Industrie-4.0-Leitlinien funktionieren. „Wir wollen hier eine vollautomatische, vollvernetzte Fertigung einziehen“, sagt Werkleiter Peter. Von der Bestellung des Kunden bis zum fertigen Produkt laufen dann immer mehr Prozesse vollautomatisch und lückenlos überwacht ab. Die Software im Lager erkennt, welche Teile nachbestellt werden müssen. Tausende Sensoren überprüfen jeden Produktionsschritt. „So können wir menschliche Fehlerquellen vermeiden und gleichzeitig noch mal schneller werden“, sagt Peter.

Europa in 24 Stunden

Die Hypervernetzung ist dabei schlicht die logische Antwort auf die steigende Komplexität der Produktion. In ganz Europa bietet Rittal demnächst einen 24-Stunden-Lieferservice an. Um diesem Versprechen gerecht zu werden, muss jeder Produktionsschritt in der hochkomplexen Wertschöpfungskette sitzen. Die Vision ist klar: „Wenn ein Kunde in Italien zehn VX25 bestellt, wird unser ­Manufacturing Execution System hier in Rittershausen vollautomatisch und ohne Datenumbrüche informiert und schmeißt dann selbstständig die Produktion an“, sagt ­Röttchen.

Ganz nebenbei wissen die vernetzten und intelligenten Maschinen von selbst, wann sie gewartet werden müssen und senden entsprechende Signale aus. Das funktioniert, weil im Hintergrund eine künstliche Intelligenz fortlaufend die Daten der Sensoren auswertet und damit sowohl Produktion als auch Wartung optimiert.

Die Mitarbeiter im Werk in Rittershausen sind für diese Veränderung die wichtigste Stütze. Sie lernen kontinuierlich, wie die neuen Systeme funktionieren und wie sie ­gesteuert werden müssen. Die entsprechenden Weiterbildungen sind auf Wochen ausgebucht. Schon jetzt gebe es mehr als 250 Anmeldungen, berichtet Werkleiter Peter. „Jeder, der sich bei uns weiterbilden will, bekommt dafür die besten Voraussetzungen“, sagt er.

Für die Kunden zahlt sich die Rittershauser Metamorphose doppelt aus: das perfektionierte Produkt und die Innovationen in der Produktion. Sekundengenau nachzuverfolgen, wo der bestellte VX25 gerade in der Produktion steckt, wird für sie bald so normal sein wie die passgenaue Qualität des Schaltschrankes. „Wir wollen hier Innovation für unsere Kunden vorantreiben“, sagt Röttchen und ergänzt: „Und dieses Ziel setzen wir konsequent und ohne Kompromisse um.“

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