Das Magazin der Friedhelm Loh Group

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Datacenter-Container in der Stahlindustrie
Praxis – Anlagenbau

Digitales Fort Knox

Digitalisierung. Big Data ist die Zukunft – auch in der Stahlindustrie. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, ist thyssenkrupp Steel dabei, seine produktionsrelevante IT zu modernisieren und zu standardisieren. Wichtige Eckpfeiler des Umbaus: Datacenter-Container von Rittal.

Text Manfred Engeser ––– Fotografie

Sie sind zwölf Meter breit, drei Meter tief, gut zweieinhalb Meter hoch: Dennoch könnte man sie glatt übersehen, die beiden weißen Container. Eingehaust von einem Metallzaun scheinen sie sich fast wegzuducken vor dem mächtigen Industriekoloss, der sich in ihrem Rücken auftürmt auf dem Werksgelände von thyssenkrupp Steel in Duisburg-Bruckhausen: das Warmbandwerk 1, mit seinen dicken Mauern, umgeben von einem Geflecht aus Gasleitungen.

Eingeweiht 1955 vom damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard ist der gewaltige Gebäudekomplex bis heute ein unverzichtbarer Bestandteil der Stahlproduktion bei thyssenkrupp Steel – hier werden derzeit jährlich drei Millionen Tonnen Stahlblöcke zu hochwertigem Qualitätsflachstahl verarbeitet.

Und doch wäre das geschichtsträchtige, zuletzt 2013 mit rund 300 Millionen Euro modernisierte Werk wohl mittelfristig nicht mehr wettbewerbsfähig ohne das nüchterne Innenleben eines der beiden vorgelagerten weißen Stahlblech-Container: Der Boden im Inneren besteht aus grauem Kautschuk, hinter der dreifach gesicherten Tür öffnen sich links und rechts entlang der weißen Stahlblechwände zwei je etwa 60 beziehungsweise 100 Zentimeter schmale Gänge –  gerade breit genug, um sich gut bewegen zu können, ohne Platz zu verschenken.

In der Mitte: ein knappes Dutzend Racks, bestückt mit akkurat verkabelten Servern, die leise vor sich hin surren. Sieben Klimageräte halten die Innentemperatur konstant bei 22 Grad Celsius, eine Brandfrüherkennung und Löschanlage mit dem Löschgas Novec 1230 verhindern im Brandfall Schäden an der IT-Infrastruktur. „Diese Container bilden das neue Rückgrat unserer Produktions-IT“, sagt Stefan ­Willing, Technischer Projektleiter bei thyssenkrupp Steel. „Sie sind ein wichtiger Eckpfeiler für eine standardisierte Produktions-IT.“

Digitalisierung verändert die Stahlproduktion

Heiß, schmutzig, laut, riesig groß – das war einmal. Die Zukunft der Stahlproduktion bei thyssenkrupp ist leise, sauber, kühl. Denn auch die Fertigung der mehr als 2.000 Stahlerzeugnisse ist bei thyssenkrupp heute immer stärker durch die Digitalisierung geprägt: Ob für die Entwicklung neuer Werkstoffe, ob für die Herstellung auch kurzfristig auf Kundenwünsche angepasster Waren oder die Optimierung von Logistik- und Lagerprozessen – Daten zu generieren, in Echtzeit zu analysieren und seinen Kunden bereitzustellen wird für die Wettbewerbsfähigkeit in der Stahlbranche unverzichtbar.

„Die Digitalisierung wird für uns immer mehr zum entscheidenden Erfolgsfaktor“, sagt Thomas Jahn, Program Lead Secure Smart Factory. „Es geht darum, reale Prozesse in der Wertschöpfungskette zu digitalisieren.“

Unverzichtbare Basis, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu meistern: eine zeitgemäße IT-Infrastruktur, die sich nicht nur in unmittelbarer Nähe der Produktionsstätten betreiben lässt. Sondern die nötigen Daten zuverlässig verfügbar macht, um eine durchgängige, störungsfreie Produktion zu gewährleisten.

Das fürs Kerngeschäft wichtigste Know-how im Unternehmen belässt und dieses gegen physische wie virtuelle Angriffe schützt. Die sich möglichst standardisieren und autark sowie für interne Mitarbeiter wie externe Dienstleister mit möglichst wenig Aufwand betreiben lässt. Kurz ein digitales Fort Knox.

Pure Rechenpower. Die standardisierten Data Center Container von Rittal unterstützen thyssenkrupp Steel bei der Digitalisierung produktionsnaher Prozesse.

IT aus dem Container

Die Lösung: ein Standardcontainer in zwei Größen, in den nach und nach die Produktions-IT jeder einzelnen Produktionsstätte umziehen sollte. Aufgestellt auf einer frei zugänglichen Parzelle in unmittelbarer Nähe des jeweiligen Werkes. Nach dem immer gleichen Plan montiert und ausgestattet: vom Klimagerät über Brandmelde- und Löschanlage und Rack bis hin zur exakten Länge und Beschriftung der benötigten Kabel und Steckverbindungen ist jedes Einzelteil elektronisch inventarisiert.

So entsteht ein digitaler Twin, der ebenso eine sichere Wartung wie auch ein virtuelles Ressourcenmanagement der MicroDC ermöglicht. Das wertvolle und sensible Innere stets geschützt von einer stabilen Stahlblechhülle. Dazu exakt geregelte ­Prozesse, über die diese Container in die Konstellation auf dem Werksgelände einzubinden sind – von der Anbindung der Produktionsdaten per Unterlandkabel, die Regulierung der Spannung von 500 Volt in der Produktion zu 400 Volt im Container bis zur Eingliederung der Standorte in das konzernweite Sicherheitskonzept – vom Brandschutz bis zur Zugangskontrolle.

Die modularen Container von Rittal sind für unsere Bedürfnisse geradezu ideal.


Stefan Willing
Head of IIoT Solutions and Applications thyssenkrupp Steel Europe

Gestartet hatte thyssenkrupp die Suche nach einer Lösung bereits 2016. ­Damals hatte der thyssenkrupp-Steel-Vorstand beschlossen, die produktionsrelevante IT-Infrastruktur konzernweit zu modernisieren und diese künftig nicht mehr über Dienstleister zu managen, sondern die Hoheit über diese hochgradig wettbewerbsrelevanten Daten wieder ins Unternehmen zurückzuholen.

Und mit der Unterstützung von Rittal eine langfristig tragfähige Lösung zu erarbeiten. Nach einer gemeinsamen Analysephase definierten beide Unternehmen die erforderlichen Spezifikationen, in die das Produktions-Know-how der thyssenkrupp-Mitarbeiter und das Rechenzentrums-Know-how der Rittal Kollegen gleichermaßen einflossen.

Heute in sechs Wochen einsatzbereit

Zwölf Monate Vorarbeit waren nötig, bis am Standort Duisburg-Süd der erste Container in Betrieb ging. Ein Containerpärchen, denn Produktionsdaten sind in einem identischen Zwilling mit autarker Versorgung gesichert. Ein Aufwand, der sich rechnet: Denn nach der aufwendigen Erstinstallation für den Standort Duisburg-Süd dauert es mittlerweile nur noch sechs Wochen ab Aufstellung beim Kunden, bis ein neuer Container in Betrieb gehen kann.

Neben dem Pärchen am Warmbandwerk 1 in Duisburg-Hamborn stehen inzwischen das zweite und dritte in Duisburg-Beeckerwerth fürs Warmbandwerk 2 und das Kaltwalzwerk 2. Im vierten ist das Management Data Center untergebracht, von dem aus die Situation in allen anderen Containern im Blick hat: Laufen die Klimaanlagen zuverlässig? Ist die Spannungsversorgung in Ordnung? Laufen Server und IT-Prozesse stabil?

Alles im Blick. Die MicroDC sind komplett per remote gemanagt und in die Prozesse des Werks integriert. Stefan Willing (links) und Thomas Jahn planen bereits den weiteren Ausbau. 

„Mit unseren vorkonfigurierten und modular aufgebauten Systemen für Edge-Computing helfen wir thyssenkrupp Steel dabei, neue IT-Infrastrukturen schnell, sicher und wirtschaftlich an beinahe beliebigen Standorten innerhalb des Firmengeländes zu realisieren“, sagt Michael Nicolai, Leiter des IT-Vertriebs bei Rittal. „So wie ein routinierter Bauträger einfach weiß, welche Größe, Schnitte und Anordnung einzelne Räume in einem Haus idealerweise haben sollten, weil er das schon ungezählte Male gemacht hat, so ist uns Planung und Bau solcher Container in Fleisch und Blut übergegangen.“

Auch Standort Nummer 5 haben thyssenkrupp Steel und Rittal schon im Visier: Dortmund-Westfalenhütte. Neben dem bestehenden Kaltwalzwerk 3 soll ab Mai 2019 die dort neue Verzinkungsanlage mit zeitgemäßer Produktions-IT versorgt werden.

Die Standorte Bochum und Siegerland bilden dann den Abschluss des Programms. „Unsere Erfahrungen mit den Rittal Containern sind sehr positiv“, sagt der Projektleiter. „Sie sind unser Werksstandard und ein elementarer Baustein unserer Zielarchitektur für unsere Produktions-IT.“

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